2010/2 Unsere Unterschiedlichkeit – ein Weg zur Einheit

Aus dem weiterführenden Wochenende „Die 7 Gesichter einer Beziehung“ haben wir bereits die Aspekte „Empfangen“, „Herausfordern“ ,und „Begleiten“ vertieft.

Jetzt wenden wir uns dem vierten „Gesicht“ zu. Es heißt „Einheit in der Verschiedenheit“. Dieses vierte „Gesicht“ hängt eng zusammen mit dem fünften, sechsten und siebten „Gesicht“. Dazu einige kurze Hinweise:

Wir wollen Gemeinschaft im Sinne Jesu aufbauen. Darum heißt unser Motto auch:
„Liebet einander, wie ich euch geliebt habe!“ Die kleinste Gemeinschaft der Liebe ist das Paar. Was für das Paar zählt, zählt auch für die ME- Gemeinschaft: Eine Gemeinschaft anstreben, in der die Unterschiedlichkeiten durch liebevolle Annahme zum aufbauenden Miteinander und zur Einheit führen können. Das heißt einig.

Eine solche Gemeinschaft braucht Menschen, die sich von der Liebe Jesu leiten und stärken lassen. Diese Menschen wollen von Tag zu Tag liebesfähiger werden. Das heißt mit anderen Worten heilig (das fünfte „Gesicht“). Diese Liebe hat ihre Wurzeln im Auftrag Jesu an die Apostel und an uns alle, die wir zu ihm gehören wollen. Ihr dürfen wir keine Grenzen setzen. Was tun wir Besonderes, wenn wir nur die lieben, die uns lieben?

Unsere Liebe, von Jesus getragen, soll immer über Grenzen gehen. Diese Liebe, wie Paulus sagt, schulden wir einander immer. Eine Liebe, die offen ist für alle Menschen, denen wir begegnen. Das heißt für uns katholisch.

Diese offen gelebte Liebe im Paar und in der Gemeinschaft ist das sechste „Gesicht“.

Das siebte „Gesicht“ beinhaltet einander zu lieben im Auftrag Jesu. Das heißt, sich wie die Apostel zu einem Leben in Liebe rufen und senden lassen: apostolisch. Ich gehe mit anderen und verbunden mit dem Auferstanden den Weg der Liebe, so dass die Menschen erkennen können: In einer solchen Gemeinschaft wird Gott spürbar.

Nach der Einführung über die Selbsterkenntnis im ME-Wochenende sagen wir:
Jeder Mensch ist einmalig. Jeder ist ein Unikat. Es gibt jeden nur einmal so, wie er ist. Der Schöpfer hat jeden einmalig gewollt. Von über 6 Milliarden Menschen hat keiner denselben Fingerabdruck oder dieselbe Stimme. Damit ist angedeutet, dass die Menschen zum Miteinander berufen sind und dass jedes Talent und jede Eigenschaft möglichst vielen zur Verfügung gestellt wird.

In der Zeit der Romanze fällt es uns leicht, die Unterschiedlichkeit anzunehmen, uns darüber zu freuen und uns für unseren Traum einzusetzen. Was der eine nicht kann, kann der andere. Es fällt uns leicht, weil jeder sich angenommen und geliebt weiß.

In der Zeit der Enttäuschung/Ernüchterung werden die Unterschiede gegeneinander ausgespielt. Sie wirken bedrohlich. Wir erleben die Unterschiede wie eine groß aufgerichtete, undurchlässige Wand, durch die es kein Durchkommen zueinander mehr gibt oder wie eine Blockade, weil keiner von seinem Standpunkt abweichen möchte oder kann und wir uns mit allen Mitteln rechtfertigen und verteidigen.

Dann brauchen wir den Impuls oder die Eingebung, dass jeder ein von Gott so gewollter Mensch ist und dass wir beide „richtig“ sind.

Die Besonderheiten und Eigenarten eines jeden von uns gehören zu unserem persönlichen Profil und Wesen und haben ihr Gutes. Wenn wir uns die positiven Seite des Anderssein unseres Partners vor Augen halten und das auf uns einwirken lassen, werden wir gelassener und können von unserem hohen Ross hinabsteigen. Wir nehmen wahr, dass die Unterschiedlichkeit nicht gegen den Partner gerichtet ist, sondern erleben sie als wichtige Ergänzung und spüren sie nicht mehr als Bedrohung. Mit diesem Blick können wir den anderen wieder mit Wohlwollen ansehen und ihn als unseren Partner auf dem Weg zu einem gemeinsamen Ziel neu erkennen.

Was genau meinen wir mit Einheit?
Es ist unser gemeinsamer TRAUM der uns vor vielen Jahren zusammengeführt hat. Er ist der Kitt in unserer Beziehung und hält uns lebenswach und -nah.

Diese Einheit ist kein Gipfel eines Berges, den es zu erreichen gilt und der dann in die Liste des „Geschafften“ aufgenommen werden kann. Wir sind immer wieder aufgerufen, uns neu auf dieses Ziel hin auf den Weg zu machen. Wenn wir uns im Dialog wieder berühren, ist es wie ein Wunder, denn in unserer Wand hat sich eine Tür oder ein Tor geöffnet und wir können einander wieder „sehen“. Wir machen die Erfahrung, dass wir uns selbst treu bleiben dürfen. Wir müssen nicht werden wie der andere, sondern können im Wissen um unser Anderssein uns gegenseitig stützen.

Unser Werkzeug ist der Dialog. Wir können uns mitteilen, wo wir uns verschieden erleben und wie es uns damit geht. Wenn wir im Alltag so oft in die Falle tappen, den andern überzeugen zu wollen, ihn zu „seinem Glück zwingen zu wollen“ usw., dann ist das zuhörende Lesen und nachspürende Fragen im Austausch die Möglichkeit schlechthin, vom anderen zu erfahren, was wirklich in ihm lebt. Nur so können wir ihn in seinem Anderssein annehmen. Wir können dann auch das Anderssein wieder als Chance erfahren (wie zur Zeit unserer Romanze), nämlich dann, wenn das Zuhören uns ganz neue, für uns selber unerkannte Aspekte offenbart. Dann fällt es uns auch leichter, die Andersartigkeit im Liebesbrief als etwas Schätzenswertes festzuhalten.

Ein starkes Bild ist für uns die blühende Wiese. Sie ist einmalig schön durch die Vielfalt der Gräser, Kräuter und Blumen. Das macht sie aus und unterscheidet sie von der Eintönigkeit des englischen Rasens. Dieses Bild gilt für uns als Paar, aber auch für die Gemeinschaft. Hier gibt es so viele verschiedene Menschen mit verschiedenen Ansichten, Charakteren, Meinungen, Temperamenten und Eigenschaften. Von Christus her haben wir den Auftrag, eine liebende Gemeinschaft zu bauen. Aus der Bibel erfahren wir, dass Jesus alle geliebt hat, d.h., er hat die Menschen in ihrer Eigenart, in ihrer Verletzlichkeit, in ihrer Sündhaftigkeit empfangen und sie herausgefordert, den Weg der Liebe zu gehen. Petrus und Paulus haben ihre Unterschiedlichkeit nicht geleugnet, aber ihre Einheit war Christus, dessen Botschaft sie weitergeben wollten. Das machte sie fähig, für den Aufbau dieser liebenden Gemeinschaft gute Wege zu gehen.

Besinnungsfragen
  • Der eine hat ein besseres Gedächtnis als der andere. Für den einen sind Ereignisse seit langem vergessen, für den anderen sind sie noch sehr präsent.
  • Wir sind beide Autofahrer. Jeder hat seinen Fahrstil. Wie erlebe ich dich als Fahrer? Wie erlebe ich dich als Beifahrer?
  • Das Umgehen mit dem PC ist unterschiedlich im Paar. Wie gehen wir mit dieser Unterschiedlichkeit um?
  • Wir beide haben einen unterschiedlichen Umgang mit unseren Kindern. Denken wir nach über die Unterschiedlichkeit!
  • Wir beide sind verschieden in der Art und Weise, wie wir unseren Glauben leben und verstehen. Sind wir bereit, diese Unterschiede anzuschauen?
  • Wir denken beide verschieden im Umgang mit Geld. Wo liegen diese Unterschiede?
  • Mann und Frau sind körperlich unterschiedlich, z.B. in Bezug Stärke, Kraft, Schönheit, Aussehen und Sexualität. Wie erlebe ich diese Unterschiede?
Hier noch ein paar Bereiche, wo es Unterschiedllchkeiten geben kann:
  • Art des Einkaufens
  • Umgang mit Gesundheit
  • Wie erledigen wir Aufgaben? (Aufschieben oder sofortiges Anpacken)
  • Kontaktfreudigkeit
  • Spontaneität
  • Entschlussfreudigkeit
  • Redegewandtheit
  • Kreativität
  • Schreibfreudigkeit
  • Geselligkeit
  • Gastfreundlichkeit
  • In welchen weiteren Bereiche erlebe ich dich anders als mich?

Trudi und Karl Lux sowie Pfarrer Hermann Pint


Dialogfragen:

Die Besinnungsfragen im hinführenden Text können auch im Dialog gefühlsmäßig reflektiert werden, wie z.B. mit der Frage: Wie geht es mir mit dieser Unterschiedlichkeit? Anhand einer konkreten Erfahrung lassen sich die Gefühle genauer beschreiben.

  • Manchmal erfahre ich sehr schmerzlich, dass unsere Verschiedenheit wie eine Wand zwischen uns steht. Du bist so ganz anders als ich. Dann denke ich: „Es wäre überhaupt kein Problem dich anzunehmen, wenn du so wärest wie ich.“ Wo und wann spürte ich in letzter Zeit diese Wand zwischen uns und wie fühle ich mich, wenn ich dir das schreibe?
  • Oft will ich mich rechtfertigen, Recht haben und ich bin nicht bereit von meinem Standpunkt abzurücken. Wir verletzen einander und das Gespräch verstummt. Innerlich denke ich dann: „Wieso kannst du nicht meinen Standpunkt übernehmen?“ Ich versteife mich auf die Idee: „Mit dir kann ich nicht mehr reden!“ Wann ist dies zuletzt so gewesen? Wie fühle ich mich, wenn ich dir darüber schreibe?
  • Ich möchte Kontakt mit dir aufnehmen, schaffe es aber nicht, weil ich Angst habe, von dir zurechtgewiesen zu werden. Du bist stärker im Argumentieren und ich erlebe mich oft unterlegen. Wie fühle ich mich, wenn ich dir hierüber einen Liebesbrief schreibe?
  • Wir sagen einander oft: „Ich liebe dich.“ Da wir beide verschieden sind, bedeutet es auch für jeden etwas anderes. Was meine ich, wenn ich den Satz ausspreche: „Ich liebe dich“? Wie fühle ich mich, wenn ich dir dies schreibe?
  • Wann ist die Unterschiedlichkeit für mich wie eine Blockade, die mich daran hindert, von meinem Standpunkt abzuweichen? Wie fühle ich mich, wenn ich dir dies schreibe?
  • Welche Art von Liebe kann ich dir geben, damit du die Erfahrung machst in deiner Unterschiedlichkeit Annahme zu erfahren? Wie fühle ich mich, wenn ich dir dies schreibe?

Zu jeder Unterschiedlichkeit kann die Dialogfrage gestellt werden:

  • Wo sehe ich in diesem Bereich eine Chance für uns und wie fühle ich mich, wenn ich dir das schreibe?
  • Welchen positiven Aspekt sehe ich bzgl. deiner Andersartigkeit? Wie geht es mir damit?

Beitragsbild: „Brotbrechende Hände“
Foto von Prof. Hans-Jürgen Rau