2009/1 Einander Empfangen

Jeder Mensch möchte immer und überall von seinen Mitmenschen empfangen werden. Ein einfaches und schlichtes Empfangen macht uns Menschen ruhig, selbstsicher und aufmerksam. Ein gutes Empfangenwerden schenkt uns die Erfahrung, unsere Ängste vor dem Neuen und Unbekannten überwinden zu können. Einander bewusst empfangen ist also eine wohltuende und Beziehung fördernde Aufgabe. Es geht darum, dass der Mensch eine doppelte Erfahrung macht:

  • Zuerst:
    • jemand die Erfahrung geben, dass er geliebt ist: ihm ein emotionales Obdach bieten, Zuhören, Herzlichkeit, Zärtlichkeit usw.
    • dich im Dialog empfangen heißt, meinen Blick auf dich ausrichten, dich mit Wohlwollen anschauen und dir da begegnen, wo du gerade stehst (und nicht, wo ich dich vielleicht gerne hätte …)
  • Zweitens: jemand die Erfahrung des Eigenwerts geben: das Positive in ihm suchen und ihn bestätigen, ernst nehmen usw.

Es heißt, dich anerkennen in dem, was du bist – selbst wenn mir das nicht unbedingt angenehme Gefühle gibt (z.B. ich kann dich in deinem Risiko, dich mir anzuvertrauen, bestätigen, selbst wenn das Gesagte mir zunächst wehtut …)

  • Empfangen bedeutet Annahme: das ist die Basis jeder positiven Kommunikation.
  • Ohne Annahme verlieren wir uns in Forderungen, Erwartungen, Streit, Ablehnung.
  • Ohne Annahme können wir nicht leben.

Mit dem Empfangen hat unsere Liebesgeschichte begonnen, mit Empfangen verwirklichen wir unsern Lebenstraum, leben wir unsere Berufung als einen Lebensstil. Empfangen bedeutet Gastfreundschaft im weitesten Sinne: In der Paarbeziehung bedeutet Gastfreundschaft den ganzen Partner anzunehmen mit seinen Fehlern und nicht nur mit seinen guten Seiten.

Empfangen ist der Inbegriff dessen, was wir einander an unserem Hochzeitstag versprochen haben: Ich will dich lieben und achten und ehren, (d.h. lieben und wertschätzen) …“

Wenn wir auf unsere Vorgehensweise in der MEGemeinschaft schauen, so fällt uns auf, dass nichts Wertvolles und Dauerhaftes geschieht, wenn die einzelnen Paare und Priester dieses „Empfangen” nicht immer wieder erfahren und üben. Es beginnt oder begann damit, dass jede/r von uns von einem Paar oder einem Priester angesprochen wurde am ME-Wochenende teilzunehmen. Bei der Einladung zu diesem Wochenende spielte bereits das Empfangenwerden eine große Rolle.

Zum Empfangen werde ich jedes Mal herausgefordert, wenn ich bei einem ME-Treffen anderen Menschen begegne. Spontan fällt es mir leicht, diejenigen herzlich zu empfangen, mit denen mich bereits eine ME-Erfahrung verbindet, sei es in den verschiedenen Dialoggruppen oder Verantwortungen/Diensten. Bei mir Unbekannten steht meine Entscheidung im Vordergrund, Bekanntschaft zu machen und mich unvoreingenommen auf sie einzulassen. Schnell spüren wir so, was die ME-Gemeinschaft bedeutet: ein Mitteilen und Teilen, ehrlich und vertrauensvoll, so dass wir uns bald zu Hause fühlen.

Im Laufe der Jahre ist uns auch deutlich geworden, dass das Empfangen für alle Menschen wichtig ist – nicht nur in unserer Gemeinschaft. So vielen Menschen begegnen wir Tag für Tag: unsern Kindern, den Kollegen, den Nachbarn, den Pfarrangehörigen. Durch unsere Fähigkeit, andere zu empfangen, d.h. ihnen zuzuhören und sie anzunehmen, schaffen wir eine bessere Welt. Nur wenn wir den anderen empfangen in dem, wie er ist, wird unsere Gesellschaft liebevoller, und nur dann kann unsere Gemeinschaft wachsen und leben.

Seit Beginn der ME-Gemeinschaft wird das Empfangen, das Umarmen und das Begrüßen, mit dem Wort „Shalom” zusammengefasst. Dieses Wort heißt für uns: „Bei mir ist Platz für dich”. Wenn dieser Gruß wirklich aus dem Herzen kommt, wirkt er Wunder, sowohl in als auch außerhalb der Gemeinschaft.

Trudi und Karl Lux und Pfarrer Hermann Pint


Dialogfragen

Bei der Beantwortung der Fragen ist es am besten, wenn ihr eine konkrete Situation vor Augen habt!

  • Ist mir bewusst, dass „Shalom“ heißt: Bei mir ist Platz für dich. Wie fühle ich mich bei meiner Antwort?
  • Was heißt es für mich, dir bewusst „Shalom“ zu geben? Wie fühle ich mich dabei?
  • Wie ging es mir, als ich nicht in der Lage war, dir Platz einzuräumen?
  • Was kann mir helfen, dir nach längerer Enttäuschung wieder „Shalom“ zu geben?
  • Wie fühle ich mich, wenn ich dir das schreibe?
  • Welche tiefen Ängste hindern mich, dich so anzunehmen wie du bist?
  • Wie fühle ich mich, wenn ich dir das schreibe?
  • Wie kann ich aus meinen Verletzungen heraus dir erneut „Shalom“ geben?
  • Wie fühle ich mich, wenn ich dir das schreibe?
  • Wie fühlte ich mich, als wir uns beim Aufwachen liebevoll umarmten?
Übung zur Dialogfrage:

Jede/r schreibt seine eigenen schlechten Eigenschaften auf. Mehr als 5 sollten es nicht sein. Aber es sollen Charaktereigenschaften sein, z. B. ich bin überempfindlich, rechthaberisch, reizbar, ungeduldig, nachtragend, verschlossen usw.

Schreibt bitte nicht, was ihr nicht gut könnt! (nicht gut kochen, nicht schwimmen, schlecht Auto fahren, usw.

Wir laden euch jetzt ein eure Hefte zu tauschen, damit jeder zu den negativen Eigenschaften einen Liebesbrief schreiben kann, die der Partner/die Partnerin sich selbst zugeschrieben hat:

  • Mit welchen deiner hier angegebenen negativen Eigenschaften habe ich dich in letzter Zeit annehmen können? Wie bin ich damit umgegangen?
  • Wie fühlte ich mich beim gestrigen Empfang nach einem arbeitsreichen Tag?
  • Wie ging es mir heute, als es mir leicht/schwer gefallen ist, dich anzunehmen?
  • Wir haben die Paare unserer Dialoggruppe empfangen. Wie habe ich mich dabei gefühlt?
  • Wie fühlte ich mich, als ich bei einem ME-Treffen herzlich empfangen wurde?
  • Was hilft mir/hindert mich, vorbehaltlos auf einen anderen Menschen zuzugehen?
  • Wie fühle ich mich, wenn ich dir das anvertraue?
  • Meine Meinung wurde als wertlos vom Tisch gefegt. Wie waren meine Gefühle?
  • Wie fühlte ich mich, als ich mein Kind/ meine Verwandten/ einen Kollegen/ einen Vereinskameraden/einen Nachbarn empfing?

Beitragsbild: Trudi und Karl Lux