2009/4 Meine Gefühle wahrnehmen und benennen

  • Das nervt mich, wenn du mich immer wieder darauf ansprichst.
  • Ich fühle mich nicht erst genommen, wenn du so lustig darüber hinweg gehst.
  • Ich fühle mich übergangen.
  • Ich fühle mich links liegen gelassen.
  • Das kotzt mich an.
  • Das macht mir Spaß.
  • Das freut mich.

Wie ich kennt ihr gewiss Situationen, in denen es uns leicht fällt, unsere Gefühle zu benennen. Aber wie ich kennt ihr ebenfalls Situationen, in denen wir versuchen, unsere Gefühle zu nennen, aber sie werden vom Partner als Angriff oder Vorwurf verstanden. Vielleicht können wir gemeinsam Licht in diese Situationen bringen.

Die Eingangssätze sind typisch dafür, dass ein Dialog schief gehen kann. Warum?

Nicht in jeder Situation bin ich schon so weit beruhigt, dass ich meine Gefühle annehmen und als die meinigen beschreiben kann. Manchmal bin ich einfach nicht wirklich davon überzeugt, dass meine Gefühle nur meine Sache sind und du nicht dafür verantwortlich bist. Dann muss ich warten und mir das klar machen, damit ich dir meine Gefühlswelt nicht um die Ohren haue.

Die Gefühle sind von niemandem zu verantworten. Daher sollten sie auch keinem zum Vorwurf gemacht werden. Sie tauchen aus unserer jeweiligen Lebensgeschichte plötzlich auf. Weil jeder von uns eine andere Lebensgeschichte hat, ist die Gefühlswelt bei jedem von uns verschieden. Der eine hat hier seine seelischen Schmerzstellen, der andere dort. Und so reagieren wir alle mehr oder weniger verschieden. Nie aber ganz gleich, was Intensität, Farbe, Wucht usw. angeht. Wie ich aber mit einen Gefühlen, mit der Botschaft aus meiner Lebensgeschichte umgehe, das allerdings ist meine ganz persönliche Verantwortung. Und hier wird mir das Erkennen der Gefühle auch zu einem richtig guten Helfer für meine Selbsterkenntnis.

Nehmen wir die Eingangssätze. Bin ich schon bei „mir“ angekommen, d.h. habe ich meine Gefühle als die meinen anerkannt, wenn ich von „Tu-Wörtern“ spreche? Sie werden leicht zu „Du-Wörtern“. In diesen Sätzen ist immer noch ein Außenseiter „schuld“ an meinen Gefühlen. Wer nervt mich? Du natürlich! Wer nimmt mich nicht ernst, lässt mich links liegen, übergeht mich … ? Du!

Auch die Aussagen:

  • Das nervt mich
  • Das kotzt mich an
  • Das macht mir Spaß
  • Das freut mich

weisen auf etwas Außenstehendes hin, was meine Gefühle verursacht und dafür verantwortlich scheint, dass ich so fühle.
Sicher, so lange es sich um Frohes oder um Angenehmes handelt, brauchen wir nicht kleinlich zu sein. Wenn es jedoch unangenehm wird und der Partner ins Spiel kommt, z. B. durch den Zusatz „… wenn du mich immer wieder darauf ansprichst“, dann wird das zu einer Anklage des Partners. Und das kann leicht die berühmte Falle sein, die den Dialog schwieriger gestaltet.

Wie kann ich also verdeutlichen, dass ich von mir spreche?

  • Eine Möglichkeit ist immer, von vorn herein sich selbst und dem Partner zu sagen:
    Das bin ich. Ich reagiere innerlich so. Du bist nicht schuld an meinen Gefühlen.
  • Der Ton macht die Musik: Habe ich einen vorwurfsvollen Ton drauf?
  • Ich kann auch lernen, mehr und mehr wahrzunehmen, ob ich jetzt einen Vorwurf machen will. Wenn mir einmal klar ist, dass ich dem Partner auf keinen Fall einen Vorwurf machen möchte, sage ich mir gleichzeitig:
    Das bin ich, der ich so reagiere. Ich bin ärgerlich, ich bin voller Angst, ich fühle mich schlapp, bin zornig, bin ängstlich, fühle mich wie nackt und bloß, wie allein und isoliert, wie in der Wüste, wie verloren …
  • Mit dem „Wie“ habe ich Möglichkeiten, auch „Ungenaues“ in Bildern auszudrücken. Übrigens: Je mehr Bilder ich für mein Gefühl finde, umso näher komme ich an dieses heran und umso sicherer bin ich, dass ich nicht mehr den Partner insgeheim für schuldig halte. Und umso leichter hat er die Möglichkeit, meine Gefühle mitzufühlen – ein Moment großer Nähe und Einheit.

Pater Bernd Kordes SM aus La Neyliere, Frankreich