2009/4 Wieder zueinander finden

Ist es nicht so, dass uns Vergangenes immer wieder einholen kann, wenn Verletzungen passiert sind? Als ich, Roswitha, das Buch „Die fünf Sprachen des Verzeihens“ (Gary Chapman und Jennifer Thomas) von Andreas geschenkt bekam und es las, wurde mir klar, woran das liegen könnte: Wenn mich Andreas um Entschuldigung bat, konnte ich ihm dennoch manchmal nicht aus ganzem Herzen vergeben.

Deshalb möchten wir euch dieses Thema schenken in der großen Hoffnung, dass es auch euch weiterbringen möge.

Vorab wollen wir etwas klarstellen:
Umgangssprachlich wird zwar gesagt: Ich entschuldige mich … und wir meinen damit: Ich bitte dich um Entschuldigung. Ich habe Schuld auf mich geladen, indem ich dich verletzt habe. Ich kann mich aber nicht selbst entschulden. Wenn du meine Bitte um Vergebung annimmst, so kannst nur du mich von meiner Schuld frei machen. Dann kann ich die Schuld ablegen.

Ein kleiner Text von Ulrich Schaffer zeigt die Sensibilität und Macht dieser Thematik:
„Du bist verletzt worden.
Ein Mensch, den du liebst, hat dir die Wunde zugeführt.
Das Beschönigen hilft nichts, auch nicht das Erklären.
Der Schmerz bleibt Schmerz, und die Enttäuschung ist nicht wegzudenken.
Dein Mund zuckt. Du könntest zurückschlagen.
Auge um Auge, Zahn um Zahn. Es wäre verständlich.““

Auch wenn wir Verletzungen möglichst vermeiden wollen, passieren sie in unseren Beziehungen. Wir werden aneinander schuldig, z.B. aus Vergesslichkeit, wenn ich den anderen nicht genügend beachte, wenn ich einen Witz mache auf Kosten des anderen u.ä. Ich, Roswitha, erlebe mich z.B. stark verletzt, wenn Andreas abends viel später heimkommt als geplant und er es versäumt, mich von unterwegs anzurufen. Ich, Andreas, erlebe mich verletzt, wenn Roswitha meint, nur sie kenne die richtigen Worte für eine Textausarbeitung und dabei meine Einwände ignoriert.

Wenn Verletzungen passieren, reagieren wir normalerweise mit:

Vorwurf – – Rückzug – – Schuldzuweisung – – Verteidigung – – Rechtfertigung u.ä.

Das sind allgemein übliche Reaktionsweisen, die aber keinen Schritt weiter bringen. Die Beziehungs-Kluft wird dadurch eher größer.

In der ME-Gemeinschaft haben wir das Werkzeug des Dialoges, um uns einander mitzuteilen und um uns gut zuzuhören. Wenn wir einander schwere Gefühle mitteilen, die der andere ausgelöst hat, ist das Zuhören auch im Austausch besonders gefährdet.

Im Dialog geübte Partner tun sich nicht so schwer, den anderen wertzuschätzen und Gefühle ohne Vorwurf zu schreiben, auch wenn die Situation spannungsgeladen ist.
Besonders das geübte Zuhören mit dem Herzen ist hier gefragt.
Gefühlsausdrücke mit verstecktem Vorwurf können schnell zu Fallen werden: Z.B. Ich fühle mich verletzt, alleingelassen, nicht beachtet, ignoriert. Unter „Meine Gefühle wahrnehmen und benennen“ hat Pater Bernd Kordes sehr verständlich diesen Aspekt beleuchtet.

Auch der erweiterte Dialog mit seinen 5 Schritten kann sehr hilfreich sein, mein typisches Verhalten bei einer schmerzlichen Situation oder einer Verletzung zu reflektieren:
Dabei sind die ersten drei Schritte (Welche Gefühle erlebte ich? Welche spontanen Gedanken gingen mir durch den Kopf? Was sehe ich mich spontan tun?) eine detaillierte Beschreibung meines Erlebens. Diese Schritte sollen helfen, den Blick bei mir zu belassen und mich ohne Vorwurf oder Verteidigung dem Partner mitzuteilen.

Danach kann nach dem Grundbedürfnis gesucht werden, welches bei mir „unterernährt“ ist. Aus diesen ersten vier Schritten wird abgeleitet, welchen verantwortlichen Schritt ich tun kann, um die Beziehung auf ein neues tragfähiges Fundament zu stellen.

Nicht jedes unangenehme Gefühl, was mein Partner bei mir auslöst, hat mit einer Verletzung von ihm zu tun. Durch aufmerksames Zuhören und eine gute Selbstreflexion werde ich unterscheiden, wo eine Verletzung geschehen und Versöhnung nötig ist.

Wir wollen auf dem Weg der Versöhnung die Entschuldigung (Ent-schuldung) stärker in den Blick nehmen. Hier ist der Dialog eine wichtige Hilfe, um zu reflektieren und bewusste Schritte zu gehen.

Damit die Bitte um Entschuldigung auf fruchtbaren Boden fällt, sollte sie so formuliert werden, dass der andere sie gut verstehen und aufnehmen kann.

In dem oben angeführten Buch werden Aspekte der Entschuldigung aufgezeigt, wie echte Vergebung und Versöhnung auf den Weg gebracht werden kann. Laut Autoren können wir uns dabei um „fünf Sprachen“ bemühen:

1. Das Mitfühlen: „Es tut mir leid.“
Es ist das Eingeständnis, Schuld auf sich geladen zu haben und nun darunter zu leiden. Ich empfinde Schuld und Scham darüber, dass das eigene Verhalten den anderen verletzt hat. Der andere fühlt Schmerz und es erleichtert ihn, wenn ich ihm sage, dass auch ich mitleide.

2. Die Verantwortung: „Es war mein Fehler.“
Zur Bitte um Entschuldigung gehört auch, dass ich Verantwortung für mein falsches Handeln übernehme. Warum fällt das vielen so schwer? Das hat meist etwas mit unserem Selbstwertgefühl zu tun. Wer Verantwortung für Fehler übernimmt, gesteht schließlich Schwäche ein. Reife Erwachsene lernen, die alten Verhaltensmuster zu durchbrechen und Verantwortung für die eigenen Fehler zu übernehmen.

3. Die Wiedergutmachung: „Wie kann ich das wiedergutmachen?“
Die Liebe ist die treibende Kraft zur Wiedergutmachung. Wenn ich verletzt oder gekränkt werde, will ich nämlich etwas sehr Entscheidendes wissen: „Liebst du mich noch?“ Es ist dieser Zweifel, der Wiedergutmachung verlangt. Wer schuldig geworden ist, sollte seine Liebe neu zeigen und zwar auf die Art und Weise, die der andere auch versteht („Die 5 Sprachen der Liebe“ siehe Literaturhinweis).

4. Der Sinneswandel: „Es soll nicht wieder vorkommen.“
Die Umkehr ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Heilung. Es ist das Versprechen: „Ich will es nicht wieder tun.“ Es ist wichtig, den Sinneswandel in Worten auszudrücken. Es ist ein unmissverständliches Signal, dass man sein eigenes falsches Verhalten erkannt hat und dass man sich deshalb ändern will.

5. Die ausgesprochene Bitte: „Willst du mir vergeben?“
Wer den anderen um Vergebung bittet, zeigt damit, dass er Vergebung nötig hat und in der Schuld des anderen steht. Womöglich wurde unabsichtlich gehandelt oder es war nur als Spaß gedacht, jedoch das Ergebnis zählt: Es ist Schaden angerichtet worden und deshalb Schuld entstanden, die zu vergeben ist.

Vergebung schenken
Vergebung gehört grundlegend zu einer gesunden Beziehung.
Laut Buchautoren ist für die meisten Menschen einer der fünf Punkte von besonderer Bedeutung – – ist seine „Sprache“. Wenn der andere mit meiner bevorzugten „Sprache“ der Entschuldigung auf mich zukommt, kann ich ihm leichter vergeben. Die anderen vier „Sprachen“ können zusätzliche Wirkungen erzielen. Auf Vergebung kann ich nicht bestehen. Sie ist immer ein Geschenk. Wenn mir die Bitte aus freien Stücken gewährt wird, bekomme ich Barmherzigkeit, Liebe und Gnade geschenkt.

Wenn wir vergeben, wird die Schuld weggeworfen und der andere wieder in unser Leben integriert. Vergebung ist keine Gefühlssache, sondern eine Entscheidung. Es ist der Entschluss, die Beziehung gedeihen zu lassen und alles Trennende zu beseitigen. Die Bitte um Entschuldigung allein kann keine Beziehung heilen. Erst die Antwort darauf – das Geschenk der Vergebung – mündet in die Versöhnung ein, was allerdings nicht bedeutet, dass das Vertrauen schlagartig wiederhergestellt sein muss. Versöhnung bedeutet, dass die Angelegenheit aus dem Weg geräumt wurde und sich einer gemeinsamen Zukunft zugewandt wird.

Gott vergibt uns immer, wenn wir ihn darum bitten. Wenn Gott vergibt, dann steht unsere Schuld nicht länger als trennende Mauer zwischen uns und ihm. Vergebung überwindet die Ferne und eröffnet uns die Gemeinschaft mit Gott.
Die Art, wie uns Gott vergibt, kann uns ermutigen und zeigen, wie auch wir vergeben können.

Roswitha und Andreas Gumprecht


Besinnungsfragen
  • Kann ich Fehlverhalten, Unaufmerksamkeiten oder Unterlassenes eingestehen? Wie drücke ich das aus?
  • Welches Verhalten von dir hat mich verletzt und verletzt mich immer wieder?
  • Was brauche ich von dir (Worte, Gesten…), um dir leichter vergeben zu können?
  • Was kann ich in einer Situation tun, wenn ich meinen Fehler nicht sehen bzw. nicht einsehen kann?
  • Neige ich dazu, schnell die Schuld auf mich zu nehmen? Was will ich damit erreichen?
  • Das Angebot des Sakramentes der Versöhnung: Wie stehe ich dazu?
Dialogfragen

Ihr kommt euren Gefühlen besser auf die Spur, wenn ihr bei der Beantwortung der Fragen eine konkrete Situation vor Augen habt.

  • Wie geht es mir, wenn ich an unsere Art denke, wie wir mit Verletzungen umgehen?
  • Gibt es eine Verletzung, die ich dir noch nicht bzw. noch nicht ganz vergeben konnte? Wie geht es mir jetzt, wenn ich daran denke?
  • Ich denke an eine konkrete Verletzung zurück! Wie fühlte ich mich in dieser Situation? Ich beschreibe dieses Gefühl anhand von Bildern oder Vergleichen, damit du mich besser verstehen kannst.
  • Ich falle immer wieder in alte Verhaltensmuster zurück und verletze dich damit. Wie geht es mir, wenn ich das in den Blick nehme?
  • Was hindert mich, dich um Vergebung zu bitten? Wie fühle ich mich jetzt bei meiner Antwort?
  • Bei Verletzungen neige ich dazu, mich zu rechtfertigen. Wie fühle ich mich, wenn mir dabei bewusst wird, dass ich damit nicht zu unserer Versöhnung beitrage?
  • Wie geht es mir, wenn ich daran denke, dir zu liebe mich ändern zu wollen und zwar in dem Punkt, der dich immer wieder verletzt?
  • Welche Rolle spielt bei uns der Dialog auf dem Weg der Versöhnung? Wie fühle ich mich bei meiner Antwort?
  • Wie geht es mir, wenn ich die „Fünf Sprachen der Entschuldigung“ in den Blick nehme? Was erhoffe ich mir davon?
  • Was möchte ich lernen, damit wir versöhnt unseren gemeinsamen Weg weitergehen können? Wie fühle ich mich bei meiner Antwort?
  • Wir sollen einander vergeben, wie Gott uns vergibt! Wie geht es mir mit dieser Aussage?
  • Wir haben uns versöhnen können. Wie ging es mir damit und was empfinde ich jetzt, wenn ich daran denke?
  • Welche Rolle spielt der christliche Glaube auf meinem Weg, um Vergebung zu bitten und Vergebung zu schenken? Wie fühle ich mich, wenn ich das betrachte?
  • Ich soll immer, ohne Einschränkung, vergeben – Mt 18,21-22; Lk 17,4! Wie geht es mir mit dieser Aufforderung Jesu?

Beitragsbild: „Emmaus“ von Brooks Gerloff, Janet, ©VB Bild-Kunst, Bonn 2009 – Ölgemälde im Kreuzgang der Benediktinerabtei Kornelimünster, Aachen