2010/4 – Gott – Quelle aller Sinnlichkeit

Unsere Sexualität ist einer der drei königlichen Wege, gleich-wertig wie Kommunikation und Gebet. Das hören wir bei einer Einführung im ME-Wochenende. Damit ist gemeint, dass sich unsere Geschlechtlichkeit nicht nur auf kurze Momente intimer Nähe im Liebesakt bezieht, sondern auf die ganze Art, wie wir einander immer wieder unsere Zuneigung signalisieren und zum Ausdruck bringen, wie wir tagsüber Zärtlichkeiten austauschen und füreinander präsent sind.

Es ist eine Haltung der Achtsamkeit, in der sich unsere Zärtlichkeit füreinander ausdrückt.

Bei einer Trauung sagte der Pfarrer zu einem befreundeten Brautpaar: „Ihr seid die Fingerspitzen Gottes! In der Art wie ihr euch gut tut von zarter Berührung bis in euren Liebesakt hinein, könnt ihr Gottes Hand und seine ganze Liebe und Wohlwollen für euch als Paar erfahren und schenken.“ Dieser Satz hat mich, Hedi, zutiefst berührt. Er bedeutet für mich: Gottes Liebe ist sinnlich und sinnenhaft. ER will, dass wir einander diese zärtliche und leidenschaftliche Erfahrung schenken. In der erotischen Beziehung will Gott seine ganze Liebe zu uns als Paar ausdrücken. Das ist eine Ermutigung, unser Potenzial an Liebesfähigkeit zu pfl egen und zu entfalten.

Wenn ich, Eberhard, das Wort Zärtlichkeit höre, denke ich spontan an ein intimes Zusammensein. Durch Hedi entdecke ich den großen Reichtum und eine Vielfalt in unserer Körpersprache.

Zärtlichkeit und Sexualität ist ein Bereich, über den wir lange Zeit wenig miteinander gesprochenhaben. Wir hatten beide eine große Scheu, über unsere Empfi ndungen zu reden. Dabei erleben wir gerade in der ganzen Bandbreite unserer Körpersprache und in der Sexualität die intimste Nähe aber auch die bitterste Einsamkeit und Enttäuschung.

Der Liebesbrief und Austausch über diesen sensiblen Bereich ist ein Schlüssel, um unsere Lust und Freude, Ängste und Hemmungen, Sehnsucht nach Nähe oder nach Abgrenzung
auszudrücken. Wenn wir unser Innerstes öffnen und uns einander anvertrauen und wenn wir uns vorbehaltlos einander schenken, begreifen wir, warum Zärtlichkeit und Sexualität als „königlicher Weg“ bezeichnet wird. Im Verstanden- und Angenommensein und im körperlichen Einssein erleben wir, dass Gott uns ganz nahe ist und uns Leben in Fülle schenken will.

Auch in unserer erotischen Beziehung erleben wir immer wieder:

  • Romanze – Zeiten intensiver Anziehung und Momente intimer Nähe
  • Ernüchterung – Phasen, in denen Aktivitäten oder Probleme unser Leben bestimmen und sinnliche Leichtigkeit mehr und mehr verloren geht
  • Entscheidung zum Lieben – Innehalten und an unsere Kraftquellen uns erinnern, Zeit nehmen für das, was unsere Beziehung nährt und erfüllt, was unsere Erotik anregt und belebt

Was unsere Erotik anregt und belebt
Welchen Stellenwert hat das gemeinsame Genießen für uns?
Denn, wer nicht genießt wird ungenießbar!
Es lohnt sich, dem nachzuspüren und sich darüber auszutauschen, was für jeden von uns „genießen“ bedeutet. Das kann ganz unterschiedlich sein, aber wir entdecken sicher auch manches, was wir am liebsten gemeinsam auskosten.

Erinnern wir uns an unsere Romanze, an die Zeit unseres Kennenlernens: Wie einfallsreich waren wir damals! Mit wieviel Phantasie haben wir uns überrascht und beschenkt. Wie romantisch waren unsere ersten Treffen! Genau das ist es, was uns im Lauf der Zeit verloren ging!

Beziehung braucht Romantik,
denn Romantik ist das „Sahnehäubchen der Partnerschaft“.
Dabei richten wir unseren Blick auf unsere Achtsamkeit und Aufmerksamkeit für die vielen kleinen Momente und Augenblicke, die unseren Alltag bunt und leicht und lebenswert
machen. Wir können dadurch ein Gegengewicht schaffen zu dem, was Pfl icht, Arbeitsdruck und Alltagsstress an Energie von uns fordert. Wenn wir bewusster den Blick auf das richten, was uns selber und unserem Partner gut tut, kann das auch zur Folge haben, dass wir liebevoll und phantasievoll die Partnerschaft bezaubern. Das heißt, dass wir angenehme, gemeinsame Erlebnisse bewusst herbeiführen, die der Zweierbeziehung mehr Leichtigkeit, Wärme und Freude aneinander schenken. Damit bereichern wir unsere Partnerschaft an Lebendigkeit und Intensität.

Unsere Beziehung ist ein dynamischer Prozess. Wir erleben immer wieder Liebesfeste, in denen wir unsere innige Nähe auskosten. Aber wir können diese Nähe nicht „festhalten“. Schon die nächste Beziehungsfalle löst Ernüchterung und Enttäuschung, Traurigkeit und Schmerz in uns aus.
Es gibt eine ganze Reihe von Verhaltensmustern oder Situationen, die uns stören und beeinträchtigen. Wir nennen sie: Liebeskiller und Lustverhinderer.
Z.B.:

  • Stress durch zu viele Anforderungen
  • Müdigkeit, Krankheitssymptome
  • Fehlende Begeisterung, Schwunglosigkeit
  • Starke Gefühle wie Ärger, Wut oder Enttäuschung
  • Gewohnheit oder fehlende Phantasie bei unserem intimen Beisammensein

Was hilft, unsere Nähe und Verbundenheit wieder aufzubauen?
Wenn mein, Hedi’s, Kopf nicht frei ist, wenn Spannungen mich blockieren, hilft mir das Gespräch darüber oder das Schreiben eines Liebesbriefes. Durch den Austausch erfahre
ich, dass Eberhard sich mit viel Achtsamkeit auf mich einlässt. Das löst meine Anspannung und macht mich wieder weit und offen mit Leib und Seele.

Bei mir, Eberhard, liegt der Schlüssel darin, dass ich mir klar werden muss, was mich blockiert oder besetzt hält. Wenn ich weiß, was mich hindert in Verbundenheit zu sein, kann ich dies mit Hedi austauschen. So kommt unsere Liebesenergie wieder zu fließen.

Wenn wir Störungen nicht unter den Teppich kehren, sondern miteinander bearbeiten, dann ist die Frucht dieser unserer Entscheidung die Nähe. Wir staunen über das reiche Potential an Kreativität, das gerade durch unsere Unterschiedlichkeit zur Entfaltung kommt.

Im Kraft- und Spannungsfeld zwischen Mann und Frau hat Gott die Anziehung und Sehnsucht in uns angelegt, die uns Menschen mit Leib und Seele ein Stück Paradies ahnen lässt:

Zärtlichkeit
bist du Gott
Quelle aller Sinnlichkeit
erfahrbar in der erotischen Leidenschaft
im lustvollen Genießen unseres Leibseins
im verantwortungsvollen Gestalten unserer
Sexualität

Leidenschaft
bist du Gott
Quelle aller Zuwendung
spürbar in unserer sexuellen Lebenskraft
die Menschen zusammenführt
die Einfühlsamkeit bewirkt
Du zärtlicher und leidenschaftlicher Gott
ereigne dich immer neu
im liebend-erotischen Spiel unseres
Zusammenseins
im Mitgestalten an einer zärtlichen Welt
wo Menschen einander zutiefst wohlgesinnt
sind

Pierre Stutz

Hedi und Eberhard Kühner


Dialogfragen zum Thema

Wenn ihr Liebesbriefe zu diesen Anregungen schreibt, beachtet bitte, dass ihr eure Gefühle während eures Schreibens benennt. Das „Wie fühle ich mich bei meiner Antwort?“ ist fast hinter jede Dialogfrage zu setzen.

  • Wie fühle ich mich, wenn ich an die Anfänge unserer körperlichen Liebe denke?
  • Wir sind in unserer Sexualität gewachsen!
  • Was wünsche ich mir von dir, welche Formen der Zärtlichkeit sprechen mich an?
  • Mein Frausein / mein Mannsein ist eine Gabe Gottes.
  • Was ich am Attraktivsten an dir finde…?
  • Welchen Platz hat in unserer Sexualität die Zärtlichkeit?
  • Ich genieße unsere körperliche Nähe am meisten, wenn….
  • Ich vermeide, mich auf dich einzulassen, wenn….
  • Wie fühle ich mich, wenn ich dir „Nein“ sage?
  • Wie fühle ich mich, wenn du mir „Nein“ sagst?
  • Was würde ich in unserer Sexualität gerne verändern oder neu beleben?
  • Welche Art von Genießen tut mir in unserer Beziehung gut?
  • Was sind für mich Liebeskiller und Lustverhinderer, die meine Lust und Freude vertreiben? Wie verhalte ich mich?
  • Was hilft mir, bei Störungen unsere Nähe und Verbundenheit wieder aufzubauen? Was bringt meine Liebesenergie wieder zum Fließen?
  • Was erlebe ich im Bereich unserer Zärtlichkeit und Sexualität als so wertvoll und kostbar, dass ich es hegen und pflegen möchte?
  • Wie erlebe ich unsere Anziehung und körperliche Nähe beim Älterwerden?

Beitragsbild: „Liebespaar“ von Lucia und Philipp Hottinger