Mich entscheiden, Liebe zu schenken
„Liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht (1. Kor. 3, 14). Ist das nicht ein Satz, der unsere tiefste Sehnsucht berührt? Jeder von uns möchte doch lieben und geliebt werden.
In der Zeit unseres Kennenlernens haben wir die Erfahrung gemacht, dass diese gegenseitige Liebe eine große Anziehungskraft hat. Sie hat uns beflügelt, hat uns froh und glücklich gemacht. Wenn wir heute an diese Zeit zurück denken, dann erinnern wir uns nur an Schönes und Leichtes. Schwieriges gab es zu dieser Zeit offensichtlich nicht, zumindest ist davon nichts in unserer Erinnerung.
Eigenschaften, die uns am Partner eventuell gestört hätten, haben wir einfach großzügig übersehen. Wir waren glücklich, wenn wir Zeit miteinander verbringen und uns nahe sein konnten. Das war eine so wichtige Erfahrung, dass in uns der Wunsch gewachsen ist, so das ganze Leben miteinander zu verbringen.
Die erste Zeit unserer Ehe war dann wie die Erfüllung eines großen Traumes. Jetzt konnten wir so miteinander leben, wie wir es uns lange ersehnt hatten. Doch mit der Zeit ließ diese freudige Stimmung in unserer Beziehung mehr und mehr nach. Eine Erfahrung, wie sie wohl viele andere Paare auch machen. Eigenschaften, die anfangs so anziehend waren, werden immer mehr zum Störfaktor.
Margarete
Mich hat von Anfang an Günters Ruhe, die er ausstrahlte, angezogen und sein besonnenes und zurückhaltendes Wesen. Er war so ganz anders als mein Vater mit seiner impulsiven und aufbrausenden Art, unter der ich manchmal gelitten hatte. „Mit so einem Mann wie Günter muss es schön sein zu leben“, dachte ich. Er hatte mir zwar oft zu wenig geredet, aber ich war zuversichtlich, dass sich das schon ändern würde, wenn wir erst mal verheiratet sind. Das war natürlich eine Illusion und mit der Zeit habe ich unter Günters Schweigsamkeit immer mehr gelitten.
Günter
Margarete hatte mich in ihrer Lebendigkeit, ihrer Kontaktfreudigkeit, mit ihrem Temperament, das soganz anders ist als meins, richtig begeistert. Ich hätte mir da oft auch etwas davon gewünscht. Später erlebte ich ihre Kontaktfreudigkeit dann manchmal so, dass sie auf andere Leute zuging, mit ihnen ganz lebendige Gespräche führte und ich blieb dabei außen vor. Mit anderen Leuten konnte sie sich gut unterhalten, mit mir nicht. Mir schien es, als sei ich völlig unwichtig für sie, zumindest in solchen Momenten. Da dachte ich, mit meiner Schweigsamkeit bin ich vielleicht doch nicht der richtige Partner für Margarete. Das machte mich sehr traurig.
Das sind nur zwei Beispiele dafür, wie sich das Erleben der Eigenschaften des Partners entwickeln kann. Wir fangen an, Erwartungen an den Partner aufzubauen und müssen feststellen, dass diese dann immer öfter nicht erfüllt werden.
Enttäuschung, Traurigkeit, Resignation und Einsamkeit machen sich breit. Der Blick ist hauptsächlich auf die unerfüllten Erwartungen gerichtet und dabei vergessen wir ganz, dass wir auch selber den ersten Schritt tun könnten. Wir erleben uns einer solchen Situation oft hilfl os ausgeliefert.
Wir sprechen von verschiedenen Phasen einer Beziehung. Es ist die Phase der Freude und Begeisterung, die wir ziemlich ausgeprägt in der Zeit unseres Kennenlernens und in den ersten Ehejahren erleben und später kommt die Phase der Ernüchterung und Enttäuschung. Sie kommen in unserem Beziehungsleben immer wieder vor. In einer Zeit, in der es uns richtig gut geht miteinander, kann plötzlich, wie aus heiterem Himmel, etwas passieren, was unsere gute Stimmung ins Gegenteil umschlagen lässt. Heftige Gefühle von Ärger, Traurigkeit, Enttäuschung kommen auf und es geschehen Verletzungen. Jeder glaubt, die eigene Not sei größer als die des Partners. Wir treten in einen Leidenswettbewerb. Jeder wartet darauf, dass unser Partner den ersten Schritt tut. Wir haben Angst, dass die eigene Not unbeachtet bleiben und „unter den Tisch fallen“ würde, wenn wir selber den Anfang zur Versöhnung machen. Wir bleiben in dieser Angst gefangen und warten hilfl os ab, was geschieht. Das kann dann mitunter schmerzlich lange dauern.Im ME-Wochenende hörten wir in der vierten Einführung den Satz:
„Lieben ist eine Entscheidung“.
Die Botschaft dieser Einführung ist, dass wir Gefühlen von Enttäuschung und Resignation nicht hilflos ausgeliefert sind. Einander Liebe zu schenken, ist nicht abhängig von beglückenden romantischen Gefühlen. Wir können uns in jeder Gefühlslage zum Lieben entscheiden.
Diese Botschaft nehmen wir beim ME-Wochenende gerne auf. Dieses Wissen alleine befähigt uns aber noch nicht, auch danach zu handeln. Liebende Menschen wollen wir ja wohl alle sein. Und unseren Partner, unsere Partnerin zu lieben, das wollen wir ja ganz besonders. Leider gibt es auch immer wieder Momente, in denen es schwer fällt, einander die Liebe zu zeigen.
Das kann verschiedene Ursachen haben:
- Wir erleben die Spannung unserer Unterschiedlichkeit.
- Der Partner durchkreuzt meine Pläne.
- Der Partner setzt andere Prioritäten.
- Wir leben in Konkurrenz zum Partner, erleben uns über- oder unterlegen.
- Wir hören Kritik vom Partner.
- Wir haben Erwartungen, die nicht erfüllt werden.
Wir sind enttäuscht, gekränkt, verletzt. In solchen Situationen sind Gefühle vorherrschend, die wir negativ erleben. Und diese Gefühle sagen uns ja auch, dass dahinter unerfüllte Bedürfnisse stehen. Das heißt, wir leiden eine Not, die meistens mit Ängsten verbunden ist, und spontan sind wir nur darauf bedacht, gegen diese Not etwas zu tun und„unsere eigene Haut zu retten“. Das ist ja ganz normal und menschlich, nur macht uns das nicht wirklich zufrieden und bringt uns im Paar auch nicht zusammen.
Was hilft uns, in Situationen, in denen es uns schwer fällt, dem Partner, der Partnerin unsere Liebe zu zeigen?
Es ist gut, sich zu bemühen, nicht einfach nur zu reagieren und von den Gefühlen leiten zu lassen. Es ist entscheidend wichtig, die Gefühle wahrzunehmen, sie sich bewusst zu machen. Dabei können uns die spontanen Gedanken, die uns durch den Kopf gehen, zu unseren Gefühlen führen.
Der nächste Schritt wäre dann, sich zu fragen:
Was möchte ich jetzt mit dir leben?
Welche Werte sind mir wichtig?
Will ich zum Beispiel Selbstbehauptung oder Verbundenheit?
Will ich Recht haben oder Verständnis zeigen?
Wenn ich verletzt bin: Will ich in der Haltung des Gekränkten verharren oder verzeihen? Womit bin ich letztlich zufrieden?
Damit sind wir an einem wichtigen Punkt. Der Satz: „Lieben ist eine Entscheidung“ ist leicht mit der Vorstellung verbunden, dass ich von mir etwas aufgeben muss, wenn ich mich zum Lieben entscheide, zum Beispiel, dass ich meinen eigenen Standpunkt oder meine eigenen Interessen aufgeben muss. So gesehen ist das ein Schritt, der immer schwer fallen muss.
Ist es aber nicht so, dass wir letztlich immer zufriedener sind, wenn wir uns entscheiden, Liebe zu schenken?
Wir machen uns also jedes Mal selber damit ein Geschenk. Wenn wir uns das bewusst machen, dann kann „Liebe schenken“ richtig beflügeln, dann ist alles Schwere verflogen.
Und noch etwas ist uns wichtig. Die Entscheidung zu lieben, verbinden wir fast ausschließlich mit den schwierigen Momenten in unserer Beziehung. Liebe schenken kann aber auch bedeuten, ganz bewusst die schönen Momente mehr zu fördern. Wir können uns entscheiden, uns Zeit zu nehmen für etwas, was uns Freude macht:
- einen Spaziergang, statt die Wohnung aufzuräumen
- einen Abend der Zweisamkeit, statt Fernsehen
- zuhören, statt Zeitung lesen
- ein Überraschungsgeschenk, ohne besonderen Anlass
- einen Blumenstrauß schenken
- einen Liebesbrief schreiben
- mal schön Essen gehen
- ins Kino gehen
- ein Konzert miteinander genießen
- einen Tag Urlaub nehmen für einen gemeinsamen Ausflug
- etwas erledigen, worum du mich gebeten hast
- usw.
Die Entscheidung, Liebe zu schenken, kann auch in Form von Wertschätzung geschehen. Wir sind es ja schon gewohnt, unseren Liebesbrief jeweils mit einer Wertschätzung zu beginnen. Im Alltag nehmen wir, bewusst oder unbewusst, immer wieder Positives an unserem Partner wahr. Ein Liebesgeschenk kann dann auch sein, es nicht bei der Wahrnehmung zu belassen, sondern auch unmittelbar auszusprechen, was uns am Partner gefällt und was uns Freude macht.
Nicht zuletzt können wir die Entscheidung zum Dialog nicht nur deshalb treffen, weil es wieder mal gut wäre, einen Liebesbrief zu schreiben, sondern weil wir unserem Partner ein besonderes Liebesgeschenk damit machen wollen.
Wir können also sagen:
- „Liebe schenken“ heißt, bewusster das Schöne miteinander leben und den Traum für unser Leben zur Entfaltung kommen lassen.
- Mit der Entscheidung, Liebe zu schenken, mache ich auch mir selber ein Geschenk.
Mit diesen beiden Aspekten bekommt dieser wichtige Satz aus dem ME-Wochenende vielleicht eine neue, zusätzliche Bedeutung, die noch mehr Motivation mit sich bringt, diese Botschaft mit Freude zu leben.
Margarete und Günter Joseph
Dialogfragen
- Ich bin eingeladen, dir in jeder Situation meine Liebe zu zeigen. Was bedeutet das für mich und wie fühle ich mich, wenn ich das bedenke?
- Ich denke an eine Situation, in der wir gemeinsam Zeit miteinander verbracht haben. Wie fühle ich mich, wenn ich daran denke?
- Was sind für mich besondere Momente der Freude in unserer Beziehung? Wie fühle ich mich, wenn ich dir das schreibe?
- Wie fühle ich mich, wenn ich mich selber nicht annehmen kann und mich nicht liebenswert erlebe? Was ist meine Sehnsucht dabei?
- Ich will dich lieben mit allem was zu dir gehört. Wie fühle ich mich bei diesem Satz?
- Mich dir zu zeigen als die Person, die ich wirklich bin, ist auch eine Entscheidung zur Liebe. Wie fühle ich mich dabei?
- Unsere Unterschiedlichkeit ist eine Einladung, dir meine Liebe zu zeigen. Wie fühle ich mich dabei?
- Welche Gefühle nehme ich bei mir manchmal wahr, die es mir schwer machen, dir meine Liebe zu zeigen? Wie fühle ich mich, wenn ich dir das schreibe?
- In welcher Situation fiel es mir leicht, dir meine Liebe zu zeigen? Wie fühle ich mich beim Schreiben?
- In welcher Situation fiel es mir schwer, dir meine Liebe zu zeigen? Wie fühle ich mich beim Schreiben?
- Wann habe ich mich aus Liebe für dich entscheiden können? Wie geht es mir jetzt damit?
- Welche Bedeutung hat für mich der Dialog, meine Gefühle wahrzunehmen? Wie fühle ich mich beim Schreiben?
- Ich bin wieder einmal „ausgerastet“. Wie geht es mir jetzt beim Schreiben damit?
- Es sind meine eigenen Grenzen, Schwächen, Unvollkommenheiten, wenn es mir manchmal schwer fällt, dir meine Liebe zu zeigen. Wie geht es mir mit diesem Satz?
- Nur Gott kann grenzenlos lieben! Wie geht es mir mit diesem Satz?
- Welche Bedeutung hat für mich die Versöhnung? Wie geht es mir damit?
Beitragsbild: Töpferarbeit von Birgit Stötzel