Der Impuls zum Thema „Enttäuschung“ im vorigen Heft endete sehr hoffnungsvoll: wir wollen eine Brücke schlagen, uns auf dieser Brücke wieder mit dem Herzen zuhören, an unseren Traum glauben und uns neu entscheiden, ihn zu leben.
Der Alltag sieht leider häufig so aus: Ich (Trudi) bin verletzt, und obschon ich seit Jahrzehnten weiß, dass ich mich nicht von meinen Gefühlen leiten lassen soll, dass ich mich entscheiden kann, zu lieben, schaffe ich es nicht.
Ich (Karl) lasse es zu, dass der Alltag unseren Traum nach hinten schiebt. Auch das ist nichts anderes, als dass ich mich leiten lasse, anstatt Akteur zu sein, anstatt Akzente zu setzen, anstatt unsere Beziehung als Spitzenreiter zu verteidigen.
„Mich entscheiden, zu lieben“: das war für mich (Trudi) der Schlüsselsatz in unserem Wochenende 1978. Ich fühlte mich plötzlich frei, nicht mehr abhängig davon, dass ich mich von Karl geliebt fühle. Ich konnte handeln. Diese Erkenntnis hilft mir immer wieder, nach kleineren Auseinandersetzungen auf Karl zuzugehen.
Für mich, Karl, brachte dieser ME-Eckpfeiler die Erkenntnis, dass ich angefragt und herausgefordert bin mich aktiv einzubringen in unserm Miteinander. Sonst gehe ich auf Position „Abwarten“ und wundere mich, dass meine Bedürfnisse in den Turbulenzen untergehen.
Der Weg des vorigen Heftes hat uns tief in unsere Enttäuschung hinein geführt, hat uns geholfen, den wirklichen Kern zu erfassen. Und es hat noch etliche Wochen und vor allem Dialoge und Treffen mit Hermann bedurft, um auch zu erfassen, dass wir die Entscheidung zu lieben öfter mal mit einem „Schwamm drüber“ verwechseln. D.h. wir sprechen unsere Enttäuschungen aus, wir verzeihen einander, und das Leben geht weiter.
Wie kann sie aussehen, diese „Entscheidung zu lieben“?
In Mt. 5, 43-48 lesen wir Jesu Anspruch, alle Menschen zu lieben. Hermann erzählte uns von einer Aussage von Marcel Léqaut, der diesen Anspruch so erklärt, dass wir jedem Menschen mit Interesse und Respekt begegnen sollen.
Dieser Gedanke machte seinen Weg und landete irgendwann in meinem Herzen (Trudi). Mein Ja zu dir, in guten und in schlechten Zeiten, hat auch diese Konsequenz: ich begegne dir mit Interesse und mit Respekt. D.h. ich interessiere mich für dich, in all der so unverständlichen Unterschiedlichkeit, und ich respektiere dich als ganzen Menschen, mit all dem, was du bist und tust – auch wenn ich es nie verstehe. Das ist in dem Moment, wo die Gefühle auf Alarm stehen, wo ich mich einsam und verlassen fühle, eine Art zu lieben, die ich mir vorstellen kann. Diese Erkenntnis schlägt ähnlich ein wie mein Erlebnis aus dem WE (siehe oben). Ich sehe wieder einen Weg, wie ich zu der Entscheidung zu lieben kommen kann. Konkret heißt das z.B., dass ich nachfrage, wie es dir in deinem Engagement für die 800-Jahr-Feier unseres Dorfes geht – auch wenn die inhaltliche Arbeit mich nicht interessiert und ich mich gefühlsmäßig durch dieses Engagement hintenan gesetzt erfahre.
Interesse war für mich, Karl, schon lange der Schlüssel, der mir Zugang zu Trudi gibt. Doch ihr auch dabei mit Respekt zu begegnen in den unterschiedlichen Ansprüchen und Bedürfnissen ist eine Dimension, die unserem Leben eine tiefere Verbundenheit gibt. Ich merke, dass ich allzu oft reagiere, mich nicht oder falsch verstanden erlebe, anstatt respektvoll bei ihr zu bleiben und sie mit dem Herzen aufzunehmen. Auch zolle ich ihr keinen Respekt, wenn ich mich hinter meinem Schweigen zurück ziehe, wenn ich sie im Ungewissen lasse, ihr nicht antworte oder ihre Frage mit einer Gegenfrage beantworte.
In unserem Verletzt sein laufen wir oft Gefahr, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu suchen. Fifty/Fifty – das ist doch fair und gerecht. Für einen Geschäftsabschluss geeignet – aber auch für die Ehe? Den Bund im Sinne Jesu schließen heißt, sich immer wieder auf den Weg machen, sich trauen, sich ganz geben, auch wenn der/die andere manchmal nichts zurückgeben kann.
Nicht wer Recht hat ist wichtig, sondern die Begegnung auf Augenhöhe. Wir können unsere Persönlichkeitsstruktur nicht ändern, doch sehr wohl unser Verhalten, so dass es uns mehr Leben gibt. Uns so entscheiden, unseren Partner zu lieben, ist wie der Sonnenschein, der durch graue Wolken bricht.
Einige mögliche Schritte zur „Entscheidung zu lieben“
- bei Unstimmigkeiten mache ich den ersten Schritt auf dich zu ich schlage dir einen Dialog vor
- ich beginne den Liebesbrief mit einer liebevollen Anrede und einer Wertschätzung
- ich höre dir zu und frage nach, auch wenn meine momentanen Gefühle mich daran hindern
- ich entscheide mich, meinen Groll zurück zu halten, bei dir zu bleiben und nachzufragen
- ich will achtsam und aufmerksam dir gegenüber sein
- ich teile dir meine Bedürftigkeit mit
- ich empfange dich herzlich (= du bist mir wichtig)
- ich fordere dich heraus (= ich will Beziehung mit dir leben; oder: ich wage die Konfrontation, oder … )
- ich begleite dich in dem was du lebst
- ich übernehme Verantwortung für unsere Beziehung
Wfim, wenn ich einen dieser Schritte unternehme?
Wfim, nachdem ich einen dieser Schritte gemacht habe?
Mögliche Schritte einer „frohmachenden Entschei¬dung“ für Priester und Ordensleute
- ich suche das Gespräch mit einem Kollegen/Gemeindemitglied nach Unstimmigkeiten oder Verletzungen
- ich bin achtsam und aufmerksam den Menschen gegenüber, denen ich heute begegne (oder besonders jemanden gegenüber der mir nicht so sympathisch ist)
- ich nehme Verantwortung in meinem Umfeld, d.h. ich höre aktiv zu, ich fordere heraus, ich schenke einem Verzweifelten/Zweifelnden Zeit.. …
- vor einem Treffen mit Mitbrüdern sammle ich mich im Gebet und bitte um Mut und Kraft, bei meinem Gespräch den richtigen Ton anzuschlagen
Wfim?
Trudi und Karl Lux mit Hermann Pint
Dialogfragen zum Thema:
- Wfim, wenn ich nach Unstimmigkeiten den ersten Schritt auf Dich zu mache?
- Wfim, wenn Du mir die Versöhnung anbietest?
- Ich schlage Dir einen Dialog vor. Wfim, wenn ich Dir mitteile, dass ich von deinen Gedanken und Gefühlen wissen möchte und ich Dir von mir erzählen möchte?
- Wfim, wenn ich mich entscheide, meinen Liebesbrief mit einer Wertschätzung und einer liebevollen Anrede zu beginnen?
- Wfim, wenn ich mich entscheide Dir mit dem Herzen zuzuhören?
- Ich entscheide mich meinen Groll zurück zu halten und Dir meine ganze Aufmerksamkeit zu schenken? Was sind meine Gedanken und meine Gefühle bei der konkreten Entscheidung?
- Welche Gedanken und Gefühle habe ich, wenn Du mir gegenüber achtsam und aufmerksam bist? Welches Verhalten sehe ich in dieser Situation bei mir?
- Wfim, wenn ich Dir meine Bedürftigkeit mitteile?
- Wfim, wenn Du Vertrauen wagst und mir Deine Bedürftigkeit mitteilst?
- Ich entscheide mich Dich herzlich zu empfangen? Wfim?
- Ich werde von Dir herzlich empfangen oder verabschiedet? Ich teile Dir meine Gedanken und Gefühle mit. Welches Verhalten sehe ich bei mir? Welches Grundbedürfnis lebe ich? Wfim?
- Ich denke an eine Situation, wo wir es schwer miteinander hatten. Wfim, wenn ich Vertrauen wage und Dich konfrontiere?
- Wfim, wenn ich Dich begleite, in dem was Du lebst? Besonders, wenn ich es schwer damit habe?
- Ich denke an eine Situation, wo ich Verantwortung für unsere Beziehung übernommen habe. Wfim, wenn ich meine Gedanken, Gefühle und mein Verhalten anschaue?
Beitragsfoto: Wieland Wiederhold, Tiefthal