Wir haben uns vorgenommen, in 2014 die Themen der Brückenabende aufzugreifen. Dabei ist das erste Thema -Gefühle-. Wir hatten beim Vorbereiten dieses Heftes ein Exemplar der Österreichischen ME- Zeitung in die Hände bekommen mit dem gleichen Thema. Unter den vielen Beiträgen ist uns die Hinführung von Traude & Wolfgang Köchelhuber sofort ins Auge gesprungen. Und so entstand die Idee, in dieser Ausgabe einen Gastbeitrag aus der Österreichischen Gemeinschaft aufzunehmen. Wir danken den beiden Autoren und dem Zeitungsteam aus dem Nachbarland. Wir sind begeistert von der schnellen, freundlichen und unkomplizierten Unterstützung aus Österreich – Danke-!
Gastbeitrag aus Nr.136-03/2013
Für mich – Traude – war der 2. Impuls das Tor zum ME-Wochenende. Zu hören, dass Gefühle weder gut noch schlecht sind – also moralisch nicht zu bewerten – hat mich von einer jahrelangen Bedrückung befreit.
Ich habe mich als Kind und als Jugendliche oft als zu emotional kritisiert erlebt, besonders meine Gefühle des Ärgers sind abgelehnt und verurteilt worden, sodass ich sie allmählich als inakzeptabel abgespalten und verdrängt habe.
Ein Blick in meine ersten Dialoghefte nachdem WE zeigt, dass aus den 4 Gefühlsfamilien (Freude, Trauer, Angst, Ärger) Gefühle des Ärgers nicht auftauchten. Diese Entdeckung hatte mich damals nachdenklich gemacht und mich erkennen lassen, dass sich über das primäre Gefühl des Ärgers durch die Verdrängung das Deck-Gefühl der Trauer gelegt hatte. Für mich war dadurch das ursprüngliche Gefühl des Ärgers nicht mehr fühl- und greifbar. Für den Mechanismus der Verdrängung fand ich dann eine einfache Erklärung: ein „folgsames“ Kind und eine „brave“ Christin dürfen nicht ärgerlich oder zornig sein. In den folgenden Monaten durfte ich dann immer wieder die spannende Erfahrung machen, dass ich mich viel öfter ärgerlich, gereizt, heftig, aufgebracht fühlte und nicht traurig, bedrückt oder deprimiert.
Das klare und richtige Erkennen und Benennen des Gefühls führte mich dann über die Grundbedürfnisse auf die richtige Spur und damit auf einen Weg der Befreiung. Denn mit den Gefühlen des Ärgers und des Zornes muss ich anders umgehen als mit den Gefühlen der Traurigkeit, um „heil“ zu werden.
Ein zweites: wir beide haben nach dem WE ein Jahr lang intensiv den Dialog gepflegt und waren fasziniert, wie viele Gefühle wir bei uns entdecken konnten. Dieser Erfolg hat besonders mich – Wolfgang – überrascht, weil ich mir vor dem Wochenende fast keine Gefühle bewusst gemacht hatte. Nun hatten wir die Gefühle, aber was sollten wir mit ihnen anfangen?
In dieser Situation lernten wir die fünf Schritte des Erweiterten und Vertieften Dialogs kennen, und da sind die Gefühle ganz wichtige Wegweiser zu unseren erfüllten oder nicht erfüllten Grundbedürfnissen der Beziehung. Endlich hatten wir auch ein Werkzeug, wie wir mit den Gefühlen gut umgehen konnten.
Weiters musste ich mühsam lernen, dass Traude bei mir auch belastende Gefühle auslöst, aber wie ich mit ihnen umgehe, dafür bin ich alleine verantwortlich.
So hat es uns am Anfang überrascht, dass wir in ähnlichen Situationen sehr unterschiedliche Gefühle haben können. Ich – Traude – habe z. B. mit Wolfgang an einem Artikel gearbeitet. Bevor ich Wolfgang meinen Schlusssatz vorlesen konnte, hat er sich die Kopfhörer aufgesetzt, um Musik zu hören. Ich habe mich da alleine, einsam und sehr zornig gefühlt.
Ein anderes Mal war die Situation ganz ähnlich. Wolfgang hat sich zur Musik zurückgezogen. Diesmal war ich froh und erleichtert, weil ich den Text noch einmal in Ruhe durchgehen wollte.
Ein Beweis dafür, dass der andere zwar ein Gefühl auslöst, dass aber die eigene Befindlichkeit bestimmt, welches Gefühl emporsteigt.
Noch ein kritischer Punkt:
Wir wollten nach einem Streit, nach einer Verletzung unsere Beziehung wieder „gründlich“ neu ordnen und haben da meistens intensiv und lange miteinander gesprochen und gerungen. Wir waren aber dann enttäuscht, dass wir trotz beiderseitigen Bemühens die belastenden Gefühle noch immer spürten. Wir mussten lernen, dass nach einer Verletzung und der anschließenden Versöhnung die Gefühle der Erleichterung, der Freude, der Dankbarkeit und der Nähe erst nach einer Weile „nachkommen“, wir mussten Geduld mit uns haben.
Dies sind ein paar Beispiele aus der Schatzkiste unserer Erfahrungen mit den Gefühlen.
Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?
Traude & Wolfgang Köchelhuber
Dialogfragen zum Thema:
- „Gefühle sind weder gut noch schlecht“. Welche Gedanken kommen mir beim Hören dieses Satzes? Wfim, wenn ich Dir das schreibe?
- Was war heute mein stärkstes Gefühl, wovon ich Dir mitteilen möchte? Wfim dabei?
- Ich stehe zu meinen Gefühlen. Wfim, wenn ich Dir dazu schreibe?
- In welcher Gefühlsfamilie lebe ich meistens? Wfim, wenn ich darauf schaue?
- Du teilst mir im Dialog vertrauensvoll Deine Gefühle mit. Wfim dabei? Schau auf ein konkretes Beispiel!
- Ich teile Dir meine Gefühle mit und erhalte dabei Deine volle Aufmerksamkeit. Wfim dabei?
- Ich denke an eine bestimmte Situation und an die Gefühle, die mich beherrschten. Wfim, wenn ich Dir das jetzt schreibe?
- Was macht es mir leicht, Dir von meinen schweren Gefühlen mitzuteilen? Wfim, wenn ich Dir das schreibe?
- Ich denke an eine Situation, in welcher ich mich hinter meiner Maske versteckt habe. Wfim?
- Ich gehe bestimmten Situationen, Gesprächen oder Personen aus dem Weg. Welche Gefühle nehme ich wahr, wenn ich mir eine solche Situationen näher anschaue?
- „Du bist nicht verantwortlich für meine Gefühle“. Was löst dieser Satz bei mir aus? Wfim, wenn ich Dir dazu schreibe?
- Ich erinnere mich an eine Situation, in welcher wir durch den Dialog große Nähe erfahren haben. Ich schreibe Dir dazu meine Gedanken und Gefühle?
Titelbild: Gabi Hottinger