2017/2 Klugheit und Mäßigung

 Was ist unter Klugheit als Tugend zu verstehen?

Klugheit in diesem Sinne ist nicht Wissen oder Intelligenz, sondern Umsichtigkeit, Achtsamkeit, Weisheit. Auch Nachdenken und Erkenntnis gehört dazu. Es geht um einen realistischen Blick auf das Leben.

„Hört mir zu: Ich schicke euch wie die Schafe mitten unter die Wölfe. Seid darum klug wie die Schlangen, aber auch sanft und ohne Arglist wie die Tauben!“ (Matthäus 10,16)

Klugheit der Schlange: das heißt, die Umgebung, die Situation, die Umstände zu beachten, in der ich handle. Den richtigen Zeitpunkt finden, zu dem ich handle,  rede oder schweige. Welche Dinge muss ich ändern, welche so lassen? Und es bedeutet auch, zu erkennen und zu berücksichtigen, was ich brauche und wie es mir geht.

Ich kann nicht klug handeln, wenn ich mir meine Gefühle nicht klarmache, sondern mich von ihnen (unbewusst) leiten lasse. Ich muss dafür sorgen, dass meine Grundbedürfnisse im Einklang sind, dass ich nicht blindlings meinem Eigenwert/Wertvollsein oder dem Geliebt/Angenommensein nachlaufe.

  • Wir schreiben gerade für das Wochenende und wollten einen Termin mit dem Workshop-Paar vereinbaren. Ich(Susanne) wusste, dass ich als Lehrerin in den letzten 3 Schulwochen und mit Terminen am Wochenende kaum zum Schreiben kommen werde. Michael dagegen war voller Schwung und Begeisterung und hatte auch deutlich mehr Zeit. Ich wollte ihn und das Workshop-Paar nicht enttäuschen und stimmte einem Treffen in der ersten Ferienwoche zu. Ich berücksichtigte nicht, dass ich zu Anfang der Sommerferien immer ziemlich erledigt bin. Wir mussten das Treffen dann verschieben, weil ich nichts zu Papier bringen konnte. Es blieb mir mit dieser unklugen Entscheidung auch nicht die Angst erspart, Michael und andere zu enttäuschen und möglicherweise in ihren Augen schlecht dazustehen. Genau das hatte ich mit meiner Zustimmung vermeiden wollen.
  • Nachdem der Druck weg war und ich im „Ferienmodus“ angekommen war, fiel es mir nicht schwer, vor dem Urlaub mit dem Schreiben zu beginnen und nach unserer Rückkehr direkt weiterzumachen. Allerdings hatte Michael bis jetzt kaum etwas geschrieben und jetzt stand der Nachholtermin an. Ich ärgerte mich im Stillen über Michael. Spontan würde ich ihn jetzt mit vorwurfsvollen Bemerkungen unter Druck setzen. Nachdem ich mir meine Verärgerung bewusst gemacht hatte, konnte ich ihn in aller Ruhe fragen, wie es ihm mit dem bevorstehenden Termin geht und wie wir weiter vorgehen sollen. Er war froh, dass ich ihn darauf ansprach und wir konnten uns gut absprechen. In diesem Fall war es klug, mir meine Gefühle klarzumachen, und danach Michael in liebevoller Weise anzusprechen. (ohne Arglist wie die Tauben, d.h. ohne ihn „vorzuführen“ oder ändern zu wollen)

In der Beziehung (und darauf kommt es uns ja bei ME an) heißt Klugheit, dass ich mich und auch den anderen im Blick habe.

  •  Wir besuchten in den Ferien unseren erwachsenen Sohn im Ausland. Ich(Michael) mache seine Steuererklärungen. Bei unserem Besuch gab ich ihm den Ordner mit seinen Unterlagen und bat ihn, mir zu sagen, wann ihm eine Besprechung passt. Bis zum letzten Tag sprach er mich nicht an. Ich wurde zunehmend gereizt, weil ich endlich diese Arbeit hinter mich bringen wollte und konnte auch mit Susanne die Tage nicht mehr genießen. Ich beharrte aber darauf, dass er die Initiative ergriff. Am allerletzten Tag sprach ich ihn früh morgens an und er war sofort zur Zusammenarbeit bereit. Im Nachhinein habe ich erkannt, dass ich sehr unklug gehandelt habe. Hätte ich ihn früher angesprochen und nicht schmollend auf ihn gewartet, wären auch die letzten Tage unseres Besuches für mich und Susanne entspannter gewesen.

 

In unserer Vorbereitung fanden wir, dass die Tugend der Mäßigung in engem Zusammenhang mit der Klugheit steht. Mäßigen müssen wir uns beim Essen und Trinken, Fernsehen, Computer, Sport, Spiel, je nachdem, wo es uns schwer fällt, uns eine Grenze zu setzen. Fast alles kann zu einer Sucht werden. Mäßigung lernen wir durch Erfahrung, z.B. beim Alkohol, und es fordert eine bewusste Entscheidung.

  • Im Urlaub machten wir eine wunderbare, aber anstrengende Bergwanderung. Nachdem wir wieder unten, aber noch nicht am Ausgangspunkt angekommen waren, wollten unser Sohn  und ich(Susanne) in unserer Begeisterung unbedingt noch einen weiteren Abstecher machen. Michael war dagegen, wurde aber überstimmt. Unser Weg war längst nicht so einfach zu gehen, wie es auf der Karte ausgesehen hatte.  Als wir endlich wieder am Ausgangspunkt ankamen, waren Michael und ich nicht nur müde, sondern auch erschöpft. Michael war sauer, und noch einige Tage lang herrschten ziemliche Spannungen zwischen uns. Ich ärgerte mich über mich selbst. Klug wäre es gewesen, sich die Länge und den Verlauf der Strecke vorher genau anzusehen. Aber noch mehr hätte ich die Tugend der Mäßigung gebraucht, um mich nicht von meinem Überschwang fortreißen zu lassen. Weniger ist mehr – in diesem Fall wäre es mehr Genuss der schönen Wanderung und mehr Freude in unserer Beziehung gewesen.

Ohne einen bewussten Umgang mit unseren Gefühlen ist Mäßigung nicht möglich.

Mäßigkeit – Maß halten hat auch mit Regel-Mäßigkeit zu tun. Wiederkehrende Rituale können uns helfen, als Paar gut miteinander zu leben. Wir beginnen den Tag mit einer kurzen Gebetszeit. Manche Psalmen sind sperrig und finden nicht immer bei uns Anklang. Trotzdem wissen wir, dass uns die gemeinsame Zeit gut tut. Das Gebet hilft uns, das richtige Maß zu sehen und die eigenen Möglichkeiten und Grenzen zu erkennen.

Das Gleiche gilt für den regelmäßigen Dialog. Wenn wir uns unabhängig machen davon, ob wir gerade Lust haben zu schreiben oder nicht, bringt uns die Regelmäßigkeit andere Perspektiven und mehr Verbundenheit.

Klugheit und Mäßigung: je mehr wir uns damit beschäftigt haben, umso mehr haben wir gemerkt, wie sie den Schätzen des Wochenendes entsprechen:

  • Gefühle erkennen, damit ich mich nicht von ihnen beherrschen lasse
  •  Meinen Partner in den Blick nehmen
  • Bewusste Entscheidungen treffen
  •  Uns in den 3 Königswegen Dialog, Sexualität und Gebet immer wieder begegnen

Mögen unsere Überlegungen und Beispiele Euch zum Nachdenken verhelfen und euch zum Dialog anregen. Wir wünschen euch eine gute Begegnung im Paar!

Hermann, Susanne und Michael


Dialogfragen:

  •  In welcher Situation habe ich klug gehandelt, weil ich meine Grundbedürfnisse im Blick hatte? Wfim beim Schreiben?
  •  Wir sind eingeladen, klug zu handeln in der Beziehung (den anderen im Blick haben). Welche Schritte gehe ich? Welche Erfahrungen habe ich bereits gemacht? Wfim?
  • Wie kann ich dich nach einem anstrengenden Tag klug in den Blick nehmen und empfangen? Wfim?
  • Wir haben uns entschlossen, bewusst den Liebesbrief in den Blick zu nehmen. Welche Schritte kann ich gehen?
  • Welche Gefühle nehme ich nur ungern wahr und teile sie nicht gerne mit? Wfim?
  • Gefühle sind weder gut noch schlecht, es ist nicht klug und richtet oft Schaden an, wenn meine Gefühle mein Handeln beherrschen? Was kann ich dagegen tun?  Wfim?
  • Wo habe ich heute nach meinen Gefühlen gehandelt, mich gehen lassen? Wfim?
  • In welchem Bereich fällt es mir schwer, das rechte Maß zu finden? Wie wirkt sich das auf unsere Beziehung aus? Wfim?
  • Welche Regelmäßigkeit kann uns helfen, den Tag in Verbundenheit zu beginnen? Wfim?
  •  Welche Schritte kann ich gehen, um mehr Regel-Mäßigkeit in unsere Beziehung zu bringen? (Rituale, gute Gewohnheiten) Wfim?
  • Ich schweige gern und ziehe mich zurück. – Ich rede gern und höre nicht zu. Was hilft mir, das richtige Maß zu finden?  Wfim?
  • Ich schaue auf unsere sexuellen Begegnungen. Handle ich klug und maßvoll, um dich in den Blick zu nehmen? Wfim?
  •  Wie setze ich meine Prioritäten  (Kinder, Beruf, Hobbys…) im Hinblick auf dich? Wfim?
  • Was lebt in mir, wenn ich eingeladen bin, regelmäßig den Dialog zu pflegen?

Titelbild: K. und W. Wiederhold, B. und G. Hunger