2018/1 BEGEGNUNG – Ich begegne mir selbst

Es ist wichtig, sich selbst zu kennen und anzunehmen. Meist ist dies eine lebenslange Aufgabe, die aber Voraussetzung ist, um andere auch wirklich und ganz annehmen und lieben zu können. Im ME-Wochenende wird dieses Thema in der dritten Einführung am Samstagmorgen behandelt. Dies ist die einzige Einführung im Wochenende, über die die Paare nicht austauschen. Auch in den Dialogabenden wird dieses Thema sehr selten behandelt. Mit unserer Einführung orientieren wir uns an dem neuen Leitfaden für das ME-Wochenende, der ein neues, für uns sehr hilfreiches Bild benutzt.

Das Aushängeschild
Jeder von uns möchte akzeptiert und angenommen werden. Das ist ein Grundbedürfnis jedes Menschen. Insbesondere möchten wir von den Menschen angenommen werden, die uns selbst wichtig sind, zum Beispiel vom Partner, von den eigenen Eltern, von unseren Kindern oder von Freunden.

Deshalb zeigen wir uns dann möglichst mit den Eigenschaften, die wir selbst an uns mögen und von denen wir deshalb glauben, mit ihnen gut anzukommen, geachtet, geschätzt und geliebt zu werden.

Das ist wie ein Aushängeschild an der Außenseite eines Geschäftes, das Menschen anzieht und sie eintreten lässt. Ebenso kann man es vergleichen mit dem Schaufenster eines Geschäfts, in dem nur das ausgestellt ist, von dem der Inhaber überzeugt ist, dass es zum Eintreten einlädt.

Helmut:
In mein Schaufenster stelle ich den Helmut, der vieles kann und weiß – vor allem technisch/praktisch –, der die Probleme fest im Griff hat; der souverän ist.
So habe ich schnell – im übertragenen Sinn – die ‚Handwerkerhose’ an und‚ krempele die Ärmel’ auf und springe hilfsbereit ein, zum Beispiel am PC.
Ich bin auch gerne der Optimist, der keine Angst hat, weil er stets an einen guten Ausgang glaubt, und so Ruhe und Vertrauen ausstrahlt.
Auf mein Aushängeschild schreibe ich also: hier wohnt der selbstsichere, optimistische, souveräne und hilfsbereite Helmut. Damit glaube ich, angenommen, geschätzt und akzeptiert zu werden.

Eva:
Ich erzähle jetzt, was ich in mein Schaufenster lege:
In der Begegnung mit anderen Menschen bin ich interessiert und offen.
Bei Einladungen gelingt es mir oft, auf Andere mir Unbekannte zu zugehen: ich finde es spannend zu hören, wie andere Menschen leben, was ihnen wichtig ist und wie sie ihr Leben gestalten.
Ich möchte zeigen, dass ich verantwortungsbewusst, engagiert, treu, zuverlässig und hilfsbereit bin.

Die Abstellkammer
Unser „Aushängeschild“ ist sicherlich positiv, aber unvollständig: Ich bin mehr als das, was ich zeige. Es hebt einige meiner Qualitäten besonders hervor; aber dahinter, sozusagen in der Abstellkammer meines Geschäfts, verstecke ich einen Teil von mir, von dem ich glaube, dass er nicht liebenswert oder akzeptabel ist. Mit diesen Eigenschaften möchte ich mich nicht ‚öffentlich’ zeigen.

Helmut:
Ich fühle mich nicht wohl in meiner Haut, wenn ich selbst auf Hilfe anderer angewiesen bin, wenn ich mir unsicher bin, wenn ich mich überfordert oder schwach fühle oder wenn ich von meinen eigenen Gefühlen übermannt werde.
Vor Veränderungen, insbesondere, wenn sich diese häufen, und vor neuen unbekannten Situationen habe ich Angst.
Mir fällt es schwer, mir meine eigenen Ängste und Schwächen einzugestehen, obwohl diese unvermeidbar auftreten.
Ich neige dazu, diese vor meinen Freunden, meiner Familie und auch vor Eva in meiner Abstellkammer verstecken zu wollen und bleibe damit allein.
Es gibt auch noch meinen ‚weichen Kern’, den sentimentalen Helmut, den Träumer und Spinner. Den mag ich zwar eigentlich gut leiden, scheue mich jedoch, ihn anderen – bis auf wenige Ausnahmen – offen zu zeigen.
Dahinter verbirgt sich meine Angst, verspottet, nicht ernst genommen oder ausgelacht zu werden.
Der sentimentale Helmut versteckt sich im Hinterzimmer, in das nur selten besondere Kunden eingelassen werden.

Eva:
Ich führe euch jetzt in meine Abstellkammer:
Zu meinen Überzeugungen zu stehen, fällt mir manchmal schwer. Ich fühle mich dann unsicher und bin ängstlich und frage mich, „Darf ich das so sagen? Darf ich das so machen?“ und mir fehlt der Mut.
Dann benötige ich den Zuspruch von Helmut oder die Anerkennung von meinen Freundinnen oder meinen Kolleginnen, für das, was ich tue und geleistet habe.
Das ist für mich so wichtig wie der Sprit fürs Auto, um weitermachen zu können.
Wenn mir etwas gut gelingt, kann ich mich nur kurz darüber freuen.
Dann jedoch bagatellisiere ich den Erfolg, nach dem Motto „Eigenlob stinkt“ und es gelingt mir nicht, weiter davon zu zehren.
Bei der Suche nach Anerkennung tappe ich immer wieder in die Falle, etwas zu tun, was ich im Moment eigentlich gar nicht möchte.
Immer wieder merke ich, dass ich eine Verbindung herstelle zwischen meiner Leistung und dem Wunsch, geliebt bzw. gemocht zu werden.
Ich strenge mich an und engagiere mich oft über die angefragte Aufgabe hinaus.
Dabei treibt mich die Vorstellung, dass ich dann besonders gemocht werde.
Bleibt die Anerkennung jedoch aus oder läuft etwas nicht so gut, dann zweifele ich an mir und stelle mich als ganze Person in Frage.

Auswirkungen auf Partnerschaft und Beziehungen
Wir wollen nun betrachten, welche Auswirkungen dieses Selbstbild auf unsere Ehe und auf andere Beziehungen hat.

Helmut:
Wenn wir gemeinsam Büroarbeiten erledigen und ich dann meine „Handwerkerhose anziehe“ und mit ein paar Klicks am PC Eva schnell helfe anstatt ihr zu erklären wie es geht und sie es selbst ausprobieren lasse, bleibe ich der „Könner“, schaue auf Eva herab und wir sind somit nicht mehr auf gleicher Augenhöhe.
Ich bringe mich dabei selbst um die Möglichkeit, ihr nahe zu sein und uns als Team zu erleben.
Wenn ich Sorgen, die ich mir um meinen Arbeitsplatz mache, hinter meinem unverbesserlichen Optimismus verstecke, bleibe ich mit meinen Befürchtungen alleine und bekomme nicht den Mut machenden Zuspruch, der mir guttut.
Meine Beziehungen bleiben oft oberflächlich und unvollständig, wenn ich mich ausschließlich mit meinem „Aushängeschild“ zeige.
Wenn ich mir das bewusst mache, macht mich das traurig, denn ich merke, dass ich Eva durch solches Verhalten verletze und sie sich dann nicht ernst genommen fühlt.

Eva:
Wenn ich mich in meinen Selbstzweifeln verliere, gehe ich auf Distanz zu meinem Gegenüber und ziehe mich zurück.
Wenn es beispielsweise um Zahlen geht, ist es so, als ob dann plötzlich ein Brett vor meinem Kopf ist, dann bin ich von einer Sekunde auf die andere nicht mehr in der Lage die einfachste Rechenaufgabe zu lösen. Ich habe starkes Herzklopfen, werde unruhig und fahrig und bin blockiert.
Wenn Helmut mir etwa erklären möchte, wie das Gespräch mit der Bank gelaufen ist und ich den Zusammenhang nicht richtig verstehe, werde ich ziemlich sauer und ungehalten. Ich spüre, wie die Wut darüber, dass ich es nicht verstehe, in mir hochsteigt.
Eigentlich ist es nicht schlimm, wenn ich es nicht verstehe: Wenn ich Helmut sage „Kannst du das noch einmal erklären, diesen Punkt habe ich nicht verstanden“, dann erklärt er es mir noch einmal ruhig und sachlich.
Lasse ich jedoch meine Wut über mich selbst an ihm aus, dann verhärten sich die Fronten und die Chance, in Ruhe über alles zu reden, ist dahin.

Verantwortungsvoller Umgang mit dem Selbstbild
Wenn wir uns jetzt bewusstgeworden sind, welche Auswirkungen unser Selbstbild auf unsere Ehe und andere Beziehungen hat, stellen wir uns der Frage, wie wir damit verantwortungsvoll umgehen können.
Die Begegnung mit mir selbst eröffnet mir einen Weg, ein freierer Mensch zu werden. Indem ich mich selbst als wertvoll und einmalig schätzen lerne, mache ich die Erfahrung, dass Gott mich so liebt, wie ich bin. Er ermutigt zu einem milderen Blick auf mich selbst und dazu, mich für Schwächen nicht zu verurteilen. Das wirkt befreiend und hilft mir, mich für Beziehungen mit anderen zu öffnen.
Einen anderen Menschen zu lieben setzt voraus, dass ich mich selbst liebe, und dass ich offen bin.
Mich selbst anzuschauen, hilft mir, die Verantwortung für mich zu übernehmen. Ich bekomme ein klareres Bild von mir, werde freier und bin auch in der Begegnung mit anderen klarer. Ich kann Beziehungen verantwortlicher gestalten.
Verantwortungsvoller mit mir umgehen heißt, mich den Menschen, die mir wichtig sind (z. B. Partner, Kinder) zu öffnen und es zu wagen, auch Seiten von mir zu zeigen, die ich sonst lieber verberge. Das lässt mich freier werden und eine vollständigere Beziehung zu ihnen leben.
Wenn ich es schaffe, mich in vertrauten Beziehungen zu öffnen und mich mit den Seiten zu zeigen, mit denen ich es selbst schwer habe, gewinnen unsere Beziehungen an Tiefe, Nähe und Verbundenheit. Ich lerne zu glauben, dass ich auch damit liebenswert bin.
Ich bin nicht vollkommen aber einmalig, weil Gott mich so wie ich bin gewollt und geschaffen hat.
Im Wochenende heißt es da: „Gott macht keinen Mist!“

Eva & Helmut Schmiedel


Dialogfragen
  • Wie zeige ich mich anderen gegenüber? Mit welchen Eigenschaften glaube ich „gut anzukommen“? Wfim wenn ich dir das schreibe?
  • Was würde ich auf mein „Aushängeschild“ schreiben? Welchen Werbeslogan würde ich für mich aussuchen? Wfim dabei?
  • Ich traue mich, in meiner „Abstellkammer“ auf Entdeckungstour zu gehen. Wfim dabei?
  • Mit welchen Eigenschaften verstecke ich mich im „Hinterzimmer“ und lasse nur wenige Vertraute dort hinein? Welche Gefühle bewegen mich dabei?
  • Was befürchte ich, wenn ich meine „Abstellkammer“ für andere öffne? Wfim?
  • Wo kann mein typisches Verhalten („Aushängeschild“) Distanz zwischen uns schaffen?
    Ich betrachte ein Beispiel. Wfim?
  • In welchen Situationen in unserer Beziehung halte ich mein „Aushängeschild“ besonders hoch? Welche Gedanken und Gefühle habe ich dann spontan?
  • Wenn ich mir klar mache, dass Gott mich so liebt, wie ich bin, welche Gedanken kommen mir dann spontan? Wfim?
  • Wo habe ich es in letzter Zeit gewagt, Menschen, die mir wichtig sind, auch in meine „Abstellkammer“ einzulassen? Welche Erfahrungen habe ich dabei gemacht? Wfim?
  • Im Wochenende heißt es „Gott macht keinen Mist!“ Wfim bei dieser Zusage?

Titelbild: (c) Charlotte Zierau