Silke: „Die Verantwortung für das Packen des Kofferraums gebe ich an Rolf ab.“
Kürzlich hatten wir Wahlen in drei östlichen Bundesländern. Da kam bei mir, Rolf, die Frage hoch, wie ist das eigentlich, wenn ich Verantwortung abgebe? Und welche Gefühle habe ich dabei? Wenn wir zur Wahl gehen, geben wir Parteien für 4 oder 5 Jahre unsere Stimme. Dann hoffen wir, dass die gewählte Partei in unserem Sinne handelt. Wir geben die Verantwortung ab und haben keinen Einfluss mehr, auf das was passiert. Aber auch in kleinen Dingen, gebe ich immer wieder Verantwortung ab, z. B. ganz banal: Silke entscheide du, was es heute zu Mittag gibt. Oder ich stelle Silke eine Patientenverfügung aus für den Fall, dass ich nicht mehr entscheiden kann.
Wenn ich die Verantwortung abgebe, ist das erst einmal eine Entlastung für mich. Ich brauche mich nicht entscheiden, sondern überlasse das einer anderen Person. Eventuell fällt mir sogar eine schwere Last von den Schultern (wie Moses, dem das alles zu viel wurde). Oder im Falle von politischen Entscheidungen habe ich gar nicht die Zeit mich mit allen möglichen Details zu beschäftigen. Ich gebe die Meinungsfindung zu Themen in die Hand von Menschen, die „so ähnlichen ticken“ wie ich und vertraue darauf, dass diese Menschen in meinem Sinne „richtig“ entscheiden. In der Praxis kann dann auch Ärger darüber entstehen, wenn „falsche“ Entscheidungen getroffen werden. Wenn ich Silke die Entscheidungshoheit gebe, fällt mir das leicht, denn ich weiß, dass Sie sich bemühen wird, meine Sicht der Dinge zu berücksichtigen. Sie kennt mich und ich vertraue ihr. Wenn ich ihr die Entscheidung überlasse, entlastet es mich und ich fühle mich frei und beschwingt.
Ein kurzer Nebengedanke: Es ist nicht dasselbe, wenn ich Verantwortung abgebe oder Aufgaben delegiere. Wenn ich Aufgaben delegiere, bin ich letztendlich weiterhin für die Gesamtaufgabe zuständig.
Bei Silke und mir hat es sich in den letzten Jahren so eingependelt, dass jeder bzw. jede seine/ihre Aufgaben haben für die er/sie verantwortlich ist. Häufig ist es so, dass die Person für eine Aufgabe verantwortlich ist, der es leichter fällt, diese umzusetzen. Das ist einfach effektiver und entlastet beide, wenn die Zuständigkeiten geklärt sind. Die Verantwortung für einige Aufgaben wird auch immer wieder neu verteilt.
Mir, Silke, fällt es leicht, an Rolf Verantwortung abzugeben. Ich weiß, dass er, bevor er etwas tut, alles gut und sorgfältig überlegt, prüft und abwägt. Er kennt wie kein anderer meine Wünsche und Bedürfnisse. In sehr vielen Bereichen kann ich ihm blind vertrauen. Ich muss eher aufpassen, dass ich ihm nicht zu viel Verantwortung abgebe. Das Abgeben von Verantwortung fällt mir leicht bei all den Aufgaben, die ich nicht so gerne mache, auf die ich keine Lust habe oder bei denen ich weiß, dass Rolf dort seine Stärken hat. Seit 20 Jahren trägt Rolf die Verantwortung für unsere Steuererklärung. Auch gebe ich gerne die Verantwortung bei Themen wie Auto und Technik ab.
Ich gebe aber auch zu, dass ich Rolf gerne Verantwortung aus Bequemlichkeit abgebe, bei mir unangenehmen Dingen oder bei Dingen, die ich mir nicht zutraue. Dann laufe ich schnell Gefahr ihn zu überfordern. Und ich muss aufpassen, dass ich mir in bestimmten Bereichen meine Fähigkeiten erhalte, um bestimmte Aufgaben im Zweifelsfall wieder von Rolf übernehmen zu können. So muss ich mich als Radfahrerin immer wieder durchringen bei längeren Autofahrten auch Teilstrecken selber zu fahren, um so die Fähigkeit des Autofahrens zu erhalten.
Für mich löst das Thema Verantwortung abgeben zwiespältige Gefühle aus. Sie schwanken zwischen Erleichterung, Dankbarkeit und Ärger über mich selbst, wenn ich aus Bequemlichkeit zu viele Dinge von mir wegschiebe. Mir ist bewusst, dass ich mich durch das Abgeben der Verantwortung auch vor mehr Wachstum und Reifen drücke oder bestimmte Erfahrungen des Selbstbewusstseins wohl nicht machen kann. Ich bin dankbar, dass wir uns im Alltag immer wieder gut absprechen. Rolf fragt mich bei „seinen“ Aufgaben immer wieder um Rat und ich ihn bei „meinen“. Wir schauen bei vielen Aufgaben, wie wir sie am besten gelöst bekommen.
Besinnungsfrage:
Wo gebe ich Verantwortung ab? (Kurze Auflistung, jede/r für sich)
Wir laden Euch zum Dialog zu folgenden Fragen ein:
- Bei welchen Aufgaben fällt es mir leicht, Dir Die Verantwortung abzugeben? Wfim, wenn ich Dir das schreibe?
- Bei welchen Aufgaben fällt es mir schwer, Dir die Verantwortung abzugeben? Wfim, wenn ich Dir das schreibe?
- Wie fühlt es sich an, wenn ich Verantwortung z. B. bei Wahlen abgebe? Beschreibe die Gefühle, die Du damit verbindest.
- Es gibt auch Situationen, in denen ich Verantwortung abgeben muss oder sollte (z. B. der Seniorchef übergibt die Verantwortung an die nächste Generation oder ich kann krankheitsbedingt bestimmte Aufgaben nicht mehr wahrnehmen). Kenne ich solche Situationen? Welche Gefühle löst das bei mir aus?
- Aus welcher Motivation heraus gebe ich Verantwortung an Dich ab? Wfim, wenn ich Dir das schreibe?
Liebe Grüße aus Berlin-Spandau
Silke Bährens und Rolf Schudlich
Foto: © Silke