2008/2 Verantwortlicher Umgang mit Macht

„Macht ausüben in unserer Beziehung? Ich doch nicht.“

So denken wir vielleicht spontan, wenn wir das Wort Macht hören und auf uns selbst beziehen. Wir wollen uns nicht mit diesem Begriff identifizieren. Macht ausgesetzt zu sein hat etwas Bedrohliches. Bedrohlich will aber wohl niemand von uns sein, zumindest nicht in der Paarbeziehung. Wir könnten das Wort Macht in manchen Situationen auch mit dem Begriff „Einfluss“ ersetzen. Macht ausüben kann bedeuten, dass wir versuchen, unseren Einfluss Anderen gegenüber geltend zu machen. Wir wollen Andere beeinflussen, manipulieren, unsere Vorstellungen durchsetzen.

Macht ist ein wichtiges Element in unserem Leben. Macht haben bedeutet, etwas machen, etwas gestalten, etwas voran bringen zu können. Wir brauchen ein gesundes Maß an Macht, um etwas zu tun, um etwas verwirklichen zu können. Ohne Macht sind wir handlungsunfähig – ohnmächtig.

Wir können Macht einsetzen, um besser zu leben, wir können sie aber auch missbrauchen. Unser Machthunger ist eine Triebkraft, die in sich weder gut noch schlecht ist. Erst die Art, wie wir damit umgehen, kann gut oder schlecht sein. Wir können uns mit unserer Macht vertraut machen und positiv mit ihr umgehen.

Macht ist im Spiel, wo 2 Menschen – oder mehrere – aufeinander treffen. Der eine dominiert, der andere akzeptiert. Beide treibt dann in der Regel eine Angst.

Das kann sein:

  • Die Angst, beherrscht zu werden, Freiheit zu verlieren
  • die Angst vor Fremdbestimmung
  • die Angst vor Abhängigkeit
  • die Angst, das Gleichgewicht oder die Harmonie zu stören
  • die Angst, mich zu verlieren
  • die Angst, dich zu verlieren

Unser Machtverhalten kann sich ausdrücken in unserer Körperhaltung, in unserem Gesichtsausdruck, im Tonfall unserer Sprache.

Der Gesichtsausdruck ist ein wirksames Mittel, den Anderen zu beeinflussen.

Wir können uns vor dem Anderen aufplustern wie ein kampflustiger Truthahn.

Der Tonfall kann aggressiv, gereizt, lautstark, ironisch oder drohend sein.

Bei dieser Art ist das Machtverhalten leicht zu erkennen. Es gibt aber auch die andere Art, Macht auszuüben. Wenn wir schweigen, uns passiv verhalten, uns beleidigt ins Schneckenhaus zurückziehen, uns gekränkt zeigen, Gespräch und Versöhnung verweigern, dann ist das eine subtilere, aber nicht weniger wirksame Art, Macht auszuüben.

Der positive Umgang mit Macht lässt sich mit dem evangelischen Rat des Gehorsams beschreiben. Damit ist aber nicht etwa Unterwerfung gemeint. Gehorsam hat etwas mit hören zu tun, wirklich hören und nicht etwa gehorchen. Am Beispiel Jesu können wir lernen, was Gehorsam und Macht nach dem Evangelium ist.

Zuhören ist ein wichtiger Aspekt im Umgang mit Macht.

Es gibt 4 Bereiche, in denen das deutlich wird.

  1. sich selbst hören und wahrnehmen
  2. dem Gegenüber zuhören
  3. Zuhören in der Gemeinschaft
  4. Gott zuhören

1. Sich selbst hören und wahrnehmen heißt, in mich selbst hineinhören und wahrnehmen, was mich antreibt, welche Ängste oder welche, Absichten da sind, welche Bedürfnisse ich befriedigen möchte. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um innerlich frei zu werden und mich nicht unbewusst treiben zu lassen von meinen Gefühlen.

Wir könnten auch sagen: Mich hören heißt, mir selbst auf die Schliche kommen.

2. Dem Gegenüber zuhören bedeutet, den Anderen wahrnehmen mit seinen Bedürfnissen. Es hilft mir, verantwortlicher und behutsamer mit meiner Macht umzugehen. Ein Hindernis für dieses Zuhören kann die Angst sein, dass eine Verschiedenheit zu Tage kommt, mit der ich Mühe habe und bei der ich meine Interessen bedroht erlebe.

3. Zuhören in der Gemeinschaft bedeutet, dass ich die Anderen annehme und akzeptiere – gelten lasse – in ihrem Anderssein.

4. Auf Gott hören bedeutet, mich von meinen eigenen inneren Antrieben, die bestimmt sind von Gefühlen und Bedürfnissen, zu lösen, um frei zu werden für das, was Gott mir sagen will. Das ist ein Weg, um nach dem Plan Gottes zu leben.

Dies alles sind wichtige Voraussetzungen und Hilfen, um mit der Macht verantwortlich umzugehen. Beim negativen Umgang mit Macht versuchen wir, den Partner zu manipulieren, ihm etwas aufzudrängen was er eigentlich nicht will. Gehorsam im Sinne von Hören bedeutet das genaue Gegenteil. Es heißt, den Partner voll und ganz in seiner Andersartigkeit zu respektieren. Ich schenke ihm meine ganze Achtung.

Verantwortlicher Umgang mit Macht bedeutet, eine möglichst gute Balance zu finden zwischen Eigenständigkeit und Zugehörigkeit. Das schafft echte Verbundenheit, frei von Ängsten. Wir werden „frei zum Leben“.

Margarete und Günther Joseph


Besinnungsfragen
  • Was sind für mich Situationen, in denen ich Macht auf dich (meinen Partner – meine Partnerin) ausgeübt habe? Gehe dabei jeweils auf eine konkrete Situation ein und beschreibe:
    • Auf welche Weise ist das geschehen?
    • Was sind die Mittel, die ich dabei eingesetzt habe?
    • Was war mein Ziel, das ich dabei verfolgt habe?
    • Wie war ich letztlich damit zufrieden?
  • Unsere Beziehung – ein Kampffeld? Was wird umkämpft?
  • Wage ich Streit? Was will ich dadurch erreichen?
  • Erlebe ich mich als dominant in unserer Beziehung?
  • Erlebe ich Konkurrenz? Wie verhalte ich mich?
  • Ist mir Einfluss nehmen wichtig? Was will ich dadurch erreichen?
  • Neige ich dazu zu kontrollieren? Welche Ängste sind dahinter?
  • Wo und wie erlebe ich eigene Ohnmacht?
  • Wo und wie erlebe ich Abhängigkeit?
  • Auf welchen Gebieten fühle ich mich dir überlegen? Wie gehe ich damit um?
  • Auf welchen Gebieten fühle ich mich dir unterlegen? Wie gehe ich damit um?
Dialogfragen
  • Was regt sich in mir an Gedanken und Gefühlen, wenn ich daran denke, dass ich dir gegenüber Macht ausübe ?
  • Wie fühle ich mich bei dem Gedanken, dass ich dir in manchen Situationen Macht über mich gebe?
  • Wie fühle ich mich, wenn ich den Eindruck habe, dass du mir gegenüber Macht ausüben willst?
  • Von welchen Ängsten werde ich beeinflusst, wenn ich dir gegenüber Macht ausübe? Wie fühle ich mich, wenn ich dir das schreibe?
  • Welches Bedürfnis steht bei mir im Vordergrund, wenn ich dir gegenüber Macht ausübe? Wie fühle ich mich, wenn ich dir das schreibe?
Erweiterter Dialog
  • Ich denke an eine Situation, in der ich dir gegenüber negativ Macht ausgeübt habe.
    • Was waren meine spontanen Gedanken?
    • Wie waren meine Gefühle?
    • Wie habe ich mich verhalten?
    • Welches Bedürfnis hat mich bei diesem Verhalten angetrieben?
    • Wie hätte ich mich anders verhalten können, um selber zufriedener zu sein?
  • Ich denke an eine Situation, in der ich den Eindruck hatte, dass du mir gegenüber Macht
    ausgeübt hast.

(Die weiteren Fragen wie oben.)

Beitragsbild: Agentur Shutterstock/Kerstin Murmann