2017/3 Tugenden – Gerechtigkeit

Die Gerechtigkeit ist eine der 4 sogenannten Kardinalstugenden. (Klugheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit, Mäßigung). Wobei hier nicht die politische und soziale Gerechtigkeit, sondern die Gerechtigkeit in Beziehungen gemeint ist.

Gerechtigkeit in der Beziehung:
Was ist unter  Gerechtigkeit in der Beziehung zu verstehen?
Wir haben einige Sätze zusammengetragen, mit denen es etwas greifbarer wird.
Einige erklären wir mit Beispielen aus unserer Beziehung.

  • Ich möchte dir gerecht werden,  indem ich dich in deiner einmaligen Situation wahrnehme und annehme.
  • Ich gestehe dir dein So-Sein, dein Anders-Sein zu. (nicht: ich würde dich lieben, wenn du anders wärest)
  • Ich respektiere deine Einmaligkeit und versuche nicht, dich zu ändern.
  • Ich nehme dich vorbehaltlos an und respektiere dich.
  • Ich lasse dich nicht auflaufen, sondern versuche dir gerecht zu werden.
  • Gott hat uns einmalig geschaffen: Ich sehe dich als den „Fingerabdruck Gottes“.
  • Ich gebe dir, was du brauchst.
  • Liebevolle Erwiderung geschenkter Liebe.
  • Mich in der Beziehung nicht aufgeben, sondern auch mir gerecht werden.
  • Mich nicht zu verlieren, d.h. auch meinem Grundbedürfnis nach Eigenwert und Freiheit nachgehen.

Dann haben wir noch eine andere Parallele entdeckt. Gottes Gerechtigkeit bedeutet:

  • Gott steht in Treue und Verlässlichkeit zum Bund mit seinem Volk.
  • Ich stehe zur Treue und Verlässlichkeit unseres Ehe-Bundes.

Impulse

  • Ich nehme dich in deiner einmaligen Situation wahr und an.
    Beate:
    Seit Monaten treibt uns, besonders aber Klaus, die Frage um: Was geschieht mit Klaus Elternhaus, das leer steht, was machen wir damit? Ich frage Klaus, was seine spontanen Gedanken und Gefühle dabei sind, nehme seine Gefühle wahr, wenn wir über einen eventuellen Verkauf reden. Ich schaue nicht auf das, was für mich angenehm wäre:
    Verkaufen und weg damit, keine Arbeit und keinen Ärger mehr damit haben.
    Nein, ich sehe welche Gefühle und Bedürfnisse bei Klaus da sind.
  • Ich versuche dir gerecht zu werden, indem ich dich so annehme wie du bist.
    Beate:
    Klaus isst von sich aus wenig Obst. Anstatt an dir rum zu meckern, dass du kein Obst isst,richte ich dir mundgerecht Apfelschnitze oder anderes jahreszeitliches Obst zu Hause entweder zum Frühstück oder zum Fernsehen. Ich richte dir eine Box mit Obst für die Arbeit. Miteinem liebenden Blick auf Klaus gelingt es mir, seiner ganzen Art gerecht zu werden. Ich kann Nachfragen und auch Interesse an ihm zeigen. Dabei fühle ich mich ihm nahe.
    Klaus:
    Früher, mehr als heute, hat Beate lange und ausgiebig an den Abenden telefoniert. Ohne ME sind dann eher so Worte gefallen: „muss das denn jetzt sein, so lange,….“
    Heute kann ich Ihr Bedürfnis sehen nach mehr Kommunikation nach außen und nach mehr Beziehungen außerhalb unserer Familie. Wenn ich das so wahrnehme, dann fällt es mir leicht, die Zeit für mich zu nutzen.
  • Gott hat uns einmalig geschaffen: Ich sehe dich als den„Fingerabdruck Gottes“.
    Klaus:
    Dass ich dich gefunden habe, dass wir uns begegnet sind, war ein Fingerzeig, ein Geschenk Gottes, bei dem ich heute noch staune und Gottes Führung erkennen kann.
    Dabei fühle ich mich dankbar staunend und entzückt im Sinne, ich hätte das nicht für möglich gehalten.  Du bist anders als ich, hast Eigenschaften, die ich nicht habe. Durch dich erfahre ich anderes, erlebe ich anderes, werde reich beschenkt in meinem Leben. Du kannst besser zuhören anderen gegenüber und mir gegenüber. Du hast eine gute Wahrnehmung, was Beziehungen betrifft. Du kannst anders auf Menschen zugehen. Du bist eine so große Bereicherung für mich. Durch dich komme ich auf andere Gedanken, Themen, Ideen, Aspekte von Wichtigkeit und Unwichtigkeit.
    Den Fingerabdruck Gottes erlebe ich auch:
    • in der Zärtlichkeit, die du mir schenkst und die ich dir schenken darf,
    • in unserer Sexualität, in unserer einmaligen Intimität.

Wenn ich an unsere Zärtlichkeit und Sexualität denke, fühle ich mich bezaubert wie auf einer Wolke schwebend, aber auch geborgen durch unsere Einmaligkeit. Am Schluss ist mir noch ein Aspekt eingefallen, wo der Fingerabdruck Gottes sichtbar wird: Es sind unsere wunderbaren 3 Kinder, die du geboren hast. Da konnte und kann ich heute nur staunen und bewundern.
Beate:
Wenn ich bedenke, dass Gott dich als einen Fingerabdruck gemacht hat, fällt mir als erstes dazu ein, dass du überhaupt in mein Leben getreten bist. Das ist für mich schon ein einmaliges Geschenk. Dabei fühle ich mich dankbar und erfüllt. Ich schaue unsere gemeinsame Zeit an und mir fällt auf, du hast immer wieder anders reagiert und dich verhalten, als andere. Schon bei unserem ältesten Sohn hast du ein Jahr Erziehungszeit genommen. Lange Zeit warst du als einziger Mann im Familiengottesdienst-Team. Dein Interesse und Einbringen mit Blick auf unsere Familie, sei es bei Elternabenden, Ausflügen mit der Schule, aber auch Unternehmungen mit den Kindern allein, bewundere ich. Das stärkt mich und macht mir deutlich, es ist unser Gemeinsames. Das macht dich zu jemand Besonderem. Als Fingerabdruck sehe ich dich auch in unseren vielen gemeinsamen Werten, in religiösen, politischen sowie finanziellen Haltungen und Einstellungen. Dabei fühle ich mich reich beschenkt, frei und unbeschwert. Deine Großzügigkeit gibt mir Freiheiten und zeigt mir, ich bin dir wichtig. Dabei fühle ich Freude, Dankbarkeit und Geborgenheit.

  • Ich gebe dir was du brauchst.
    Klaus:
    Beate war im Oktober eine Woche auf Exerzitien. Ich ging Arbeiten und musste mich um den Haushalt und die Kinder kümmern. Wenn ich auf deine Frage: „Kannst du dir das vorstellen, dass ich ein Woche Weg bin?“, mich spontan von meinem Gefühl hätte leiten lassen, wäre „Oh Gott“, aus meinem Mund gekommen mit anschließenden Gefühlen von Überforderung.
    Aber wenn ich auf mein Herz höre, möchte ich dir das ermöglichen, aus Liebe.
    Beate:
    Seit einigen Jahren geht Klaus freitags 14-tägig Trommeln und oft ab  20.00 Uhr dann noch zum Sport. Meinen spontanen Gedanken nach möchte ich gerne mit Klaus gemeinsam ins WE starten. Ich kann aber Klaus Bedürfnis nach Bewegung gut verstehen und ich kann meinem tagsüber nachkommen. Auch geht Klaus Begeisterung fürs Trommeln auf mich über. Wenn ich sehe, wie viel Freude es ihm bereitet, steckt er mich mit seiner Freude an.
  • Mich in der Beziehung nicht aufgeben, sondern auch mir gerecht werden.
    Beate:
    Wir waren kürzlich mit der ganzen Familie am Bodensee Segeln. Vom Vorjahr wusste ich schon, dass es für mich ganz schön anstrengend sein kann, mehrere Tage so eng aufeinander zu sitzen. Ich hörte in mich hinein, so entschied ich mich am ersten Tag, nicht mit der Familie und mit Klaus aufs Boot zu gehen, sondern in der Gegend etwas anzuschauen. Noch unterwegs spürte ich, wie zufrieden und dankbar ich über meine Entscheidung war. Ganz entspannt war ich dann die folgenden Tage mit auf dem Boot.
    Klaus:
    Ich habe einen anderen Musik-Geschmack als Beate. Da ich weniger zu Hause bin, höre ich auch weniger Radio. Wenn ich heimkomme oder in die Küche gehe, läuft meistens nicht mein Sender. Mir gerecht werden, heißt dann auch mal in der Küche meinen Sender hören (SWR1 Pop und Rock). Aber ich schalte dann nicht einfach um, wenn du da bist, sondern ich frage dich dann schon, ob es in Ordnung ist.

Gerechtigkeit im biblischen Sinn:
Was bedeutet Gerechtigkeit im Biblischen Sinne?
Im Alten Testament ist der Mensch gerecht,

  • der sich nach dem Gesetz richtet, nach Gott frägt und ihm gehorcht.
  • Der sein Leben an Gott und seinen Weisungen orientiert.

Im neuen Testament kommt bei der Gerechtigkeit mehr der Gedanke an die zwischen- menschlichen Beziehungen und die Nächstenliebe.

  • Im Biblischen Verständnis ist Gerechtigkeit immer die Beziehung zwischen Personen, die einander gerecht werden sollen.
  • Gerecht bedeutet: gut, heilig, vollkommen.

Eine Bibelstelle zum Thema „Einander in der Beziehung gerecht werden“ ist uns in die Hände gefallen.

Bibelstelle:
18 Mit der Geburt Jesu Christi war es so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt; noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte sich, dass sie ein Kind erwartete – durch das Wirken des Heiligen Geistes.

19 Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloss, sich in aller Stille von ihr zu trennen.

20 Während er noch darüber nachdachte, erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist.

24 Als Josef erwachte, tat er, was der Engel des Herrn ihm befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich.

 

Ein  wunderbares Beispiel von Gerechtigkeit:
Josef, der Mann von Maria. Noch bevor sie zusammen waren, bemerkt er, dass sie schwanger ist. Er musste davon ausgehen, dass sie ihn mit einem anderen Mann betrogen hat.

Auch wenn sie nur verlobt waren, galt dies doch als verbindliches Eheversprechen und wäre nach jüdischem Recht ein Steinigungsgrund gewesen. Wenn jemand Josef zur Schwangerschaft seiner Frau gratuliert hätte, hätte er sagen müssen, dass das Kind nicht von ihm ist. Dieser Situation wollte er aus dem Weg gehen und sie in aller Stille verlassen.

„Josef ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloss, sich in aller Stille von ihr zu trennen.“ (Mt 1,19).

Wäre er ein Gesetzesgerechter gewesen, hätte er sie der Steinigung ausgeliefert und man hätte sogar Verständnis für den Betrogenen gehabt. Er wäre fein raus und hätte gut dagestanden. Er aber war ein »Herzensgerechter«, der seine Frau liebte und sich deshalb in
aller Stille trennen wollte. Vorbildlich?

Gerechtigkeit und Barmherzigkeit:
Barmherzigkeit ist stark, weil sie die Grundlage für Gerechtigkeit ist.
Thomas von Aquin hat dies mit den Worten ausgedrückt:
„Gerechtigkeit ohne Barmherzigkeit ist Grausam(keit).
Barmherzigkeit ohne Gerechtigkeit führt zur Auflösung von Strukturen.“

  • Barmherzigkeit ist die größere Gerechtigkeit, sie ist die Gerechtigkeit Gottes.

Wir dürfen euch einladen zur Tugend der Gerechtigkeit zu schreiben.

Shalom
Beate Pollich-Ziegler und Klaus Ziegler


Dialogfragen:
  • Wie versuche ich dir gerecht zu werden, indem ich dich so annehme wie du bist? Wifm bei meiner Antwort?
  • In welcher dir wichtigen Situation möchte ich dir gerecht werden, indem ich dich vorbehaltlos annehme und respektiere? Wifm?
  • Barmherzigkeit ist die größere Gerechtigkeit, sie ist die Gerechtigkeit Gottes.
    Wifm, wenn ich diesen Satz lese?
  • Gott hat uns einmalig geschaffen: Ich sehe dich als den „Fingerabdruck Gottes“. Wo kann ich dich in unserem Leben als solchen erkennen? Wfim?
  • Wie gelingt es mir, deine Einmaligkeit zu sehen und nicht zu versuchen, dich zu ändern?
    Wifm , wenn ich dir das schreibe?
  • Ich gestehe dir dein So-Sein, dein Anders-Sein zu. (nicht: ich würde dich lieben, wenn du anders wärest). Welche konkreten Situationen fallen mir dazu ein? Was heißt das für mich? Wfim?
  • In welchen Situationen gebe ich dir, was du brauchst? Wifm, wenn ich dir das schreibe?
  • Gerechtigkeit in der Beziehung kann heißen: „Liebevolle Erwiderung geschenkter Liebe“.
    Wann habe ich das von dir erfahren? Wifm?
  • Ich stehe zur Treue und Verlässlichkeit unseres Ehe-Bundes. Wifm ich mich dabei?
  • Du stehst zur Treue und Verlässlichkeit unseres Ehe-Bundes. Wifm ich mich dabei, wenn ich dies höre?
  • Wo möchte ich mich in unserer Beziehung nicht aufgeben, sondern auch meinen Bedürfnissen gerecht werden? Wifm?
  • „Josef ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloss, sich in aller Stille von ihr zu trennen.“ (Mt 1,19). Was spricht mich an dieser Bibelstelle an? Was nicht? Welche Gefühle habe ich dabei?

Titelbild: K. und W. Wiederhold, B. und G. Hunger