Tugenden – Jahresthema 2017
1) Hinführung
Im letzten Herbst fand das Fest der Gemeinschaft in Zwochau bei Leipzig statt. Dort hatte gleichzeitig der Europarat der ME-Gemeinschaft getagt.
Brigitte und Ingolf Menzel aus Dresden haben uns dort mit einem ungewöhnlichen Thema überrascht – Tugenden!
Zunächst hat uns dieses recht selten gebrauchte und scheinbar altmodische Wort verunsichert. Was soll das wohl für uns heute noch für eine Bedeutung haben und wo / wie soll es da noch einen Zusammenhang zu ME geben? Aber unsere Neugier war geweckt.
Es gab einen spannenden Nachmittag, an dem uns die beiden mit den vier Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mäßigung konfrontierten. An ihren lebendigen Zeugnissen konnten wir ablesen, dass Tugenden sehr wohl auch heute noch für mich, für unsere Beziehung, für unsere Gemeinschaft, für unsere Gesellschaft von ganz wichtiger Bedeutung sind.
Motivation für dieses Thema bekamen wir auch durch das Buch „Ohne Tugend geht es nicht“ von Carlo M. Martini (Kardinal, Erzbischof von Mailand). Und dieser Buchtitel ist keine „Sprechblase“. Wir merken es daran, dass in Kirche, Gesellschaft und Wirtschaft eine neue Aufmerksamkeit entsteht, indem der Papst eine Ethik-Kommission schafft, die Politik sich von einer Ethik-Kommission beraten lässt, in der Wirtschaft die Firmenkultur unter den Schlagwort „Compliance“ einer Erneuerung unterzogen wird. Also – lassen wir uns doch auch auf das Thema ein!
Was sind nun Tugenden?
Das Wort Tugend hängt mit taugen zusammen. Tugenden helfen, vor Gott und den Menschen zu taugen.
Es sind Grundhaltungen menschlicher und christlicher Existenz. Sie fördern jegliches menschliches Beziehungsgeflecht. Sie sind ein Aufruf an mich und an jeden einzelnen:
- mehr ich selbst zu werden,
- wahrhaftiger,
- freier und
- verantwortlicher zu leben.
Tugenden haben eine lange Tradition. Bereits in der Antike waren sie Maßstab für das Verhalten und wurden als „sittliche Tugenden“ bezeichnet. Für uns Christen hat Paulus unser Fundament mit den drei Tugenden „Glaube, Hoffnung, Liebe“ beschrieben.
2) Die Tugend: Tapferkeit – Mut
In der Reihe der Kardinaltugenden wird die Tapferkeit genannt. Da dieses Wort oft in enge Verbindung mit Kampf, Krieg, Extremsituationen, Lebensrettung,… gebracht wird, können wir dafür auch Mut setzen, um eine Engführung bei unseren Überlegungen zu vermeiden.
Wenn wir an Mut denken, dann fallen uns schon eher Situationen oder schwierige Herausforderungen ein , die mit unserem täglichen Leben zu tun habe.
Worum geht es?
Ich lasse mich auf eine (für mich) schwierige Situation ein. Es kann sein, dass ich dabei auch erst innere Widerstände überwinden muss. Ich verfolge dabei ein bestimmtes Ziel, welches es mir wert ist, einen bestimmten Einsatz zu wagen. Dies klingt schon wieder etwas gewaltig, ist es aber in vielen Fällen nicht. Es sind oft die berühmten Kleinigkeiten, z.B.:
- Über einen Kollegen wird schlecht geredet, ich melde mich und sage, so geht das nicht.
- Ich habe eine Verletzung erfahren, ich gehe auf den anderen (den Partner) zu, sage ihm das ( in geeigneter Weise).
- Ich wurde ungerecht behandelt. Ich brauche Mut, um Unangenehmes anzusprechen.
- Ein Bettler auf der Straße, alle gehen vorbei, ich brauche Mut, um stehen zu bleiben.
Um welche Ziele und Werte geht es?
Ich möchte ehrlich und offen sein. Im Umgang miteinander wünsche ich mir Wohlwollen und setze mich dafür ein. Und ich will keinen Nutzen aus den Schwächen anderer ziehen.
Ich kann bei einer mutigen Tat / einer schwierigen Herausforderung / Entscheidung folgende Schritte gehen: (so wie dies Brigitte und Ingolf erläuterten und mit dem nachfolgenden Zeugnis vertieften)
- Ich merke die eigene Verwundbarkeitverletzlich sein an Körper und / oder Seele
- Darauf schauen, was mich angreift, ohne die Fassung zu verlieren, z.B.: Unglück, Schicksal, gesellschaftliche Stellung
- Angst überwinden, keine falschen Kompromisse machen,Glauben an sich selbst bewahren
- Vertrauen auf Gott ist mehr als Vertrauen auf meine eigene Stärke,ich bete vor einem schweren Schritt und finde dabei inneren Frieden
- Das Ziel ist erreicht, ich kann stolz sein, ich bin zufrieden,Ausstrahlung nach außen macht dies deutlich
Beispiel von Brigitte: Sie hat eine therapeutische Ausbildung und wird gebeten, ihre Schwiegermutter zu behandeln.
Schritt 1: Ich habe mich sehr verletzlich erlebt gegenüber meiner Schwiegermutti. Ich habe Angst die Behandlung gelingt nicht und ich verliere mein Ansehen.
Schritt 2: Ich fühle mich eingeengt von dem Behandlungstermin, den ich ihr angeboten habe. Zusätzlich habe ich hohen Erwartungsdruck, dass die Behandlung gelingt. Die körperliche Nähe während der Behandlung engt mich ein – ich muss sie anfassen.
Schritt 3: Ich weiß genau, dass ich die Behandlung gut beherrsche, habe damit Erfolg auf der Arbeit. Ich kenne meine Fähigkeiten und möchte meiner Schwiegermutti eine Operation am Arm ersparen. Außerdem fühle ich mich mit Ingolf verbunden und entscheide mich, seine Eltern auch anzunehmen – und somit der Schwiegermutter zu helfen.
Schritt 4: Ich habe einfach um die Hilfe Gottes gebetet.
Schritt 5: Die Behandlung ist gelungen. Die Beschwerden waren weg nach der 4. Behandlung. Ich bin stolz auf mich, dass ich es geschafft habe. Es ist mir jetzt leichter, meine Schwiegereltern zu besuchen.
Ingolf: Ich spüre, dass es für Brigitte jetzt leichter ist, mit zu meinen Eltern zu Besuch zu kommen. Darüber freue ich mich. Ich fühle mich sehr verbunden mit Brigitte.
Mit anderen Worten bedeutet Mut:
- Aus Liebe eine Situation aushalten.
- Mit der Gnade Gottes die nötigen Schritte tun.
- Mich für das Gute entscheiden.
Wir danken Brigitte und Ingolf Menzel, die uns ihre Manuskripte als Grundlage für diese Hinführung bereitgestellt haben.
Dialogfragen:
- Ich schaue auf das Jahresthema „Tugenden“. Wfim dabei?
- Was sind meine Ideale und Ziele, die mich motivieren mutig zu sein? Wfim, wenn ich dir dies mitteile?
- Ich denke an eine Situation, in der ich mutig war. Wfim, wenn ich dir dies schreibe?
- Ich denke an eine Situation, in der ich nicht mutig war. Wfim, wenn ich dir dies schreibe?
- Was macht es mir leichter mutig zu sein?
- Was macht es mir schwer mutig zu sein?
- Ich will mutig sein und ehrlich mit dir umgehen. Wfim dabei?
- Älterwerden bedeutet Veränderungen und erfordert Mut. Worauf freue ich mich, was befürchte ich? Wfim, wenn ich mir dies bewusst mache?
- Ich denke an eine Situation, in der wir als Paar eine besondere Kraft und Energie hatten und mutig waren. Wfim, wenn ich mir dies bewusst mache?
- Ich denke an eine Situation, in der ich die Angst überwunden habe und eine gute Entscheidung gefällt habe. Wfim?
- Was engt mich ein, meine Angst aushalten. Wfim?
- Gott ist bei mir und stärkt mich für die gute Sache, für die ich mich engagiere. Wfim dabei?
- Wie haben sich meine Gefühle verändert, als ich meine Sorgen und Nöte auf Gott geworfen habe?
- Ich beschreibe den Wandel meiner Gefühle, wenn ich mir den Weg vor Augen führe, den ich tapfer gegangen bin, von der eigenen Schwäche und Verletztheit zu Ausstrahlung und innerer Ruhe hin?
Titelbild: K. und W. Wiederhold, B. und G. Hunger