Was bedeutet „Freude am Austausch“?
Mit Austausch meinen wir das Zuhören und Nachfragen, nachdem wir im Dialog den Liebesbrief geschrieben und ihn uns überreicht haben.
Freude am Austausch, das klingt gut. Wer möchte nicht bei dem, was er regelmäßig macht, Freude haben? Ich (Heike) habe aber gedacht: Oh nein, jetzt MUSS der Austausch auch noch Freude machen. Reicht es nicht mehr, wenn er uns Nähe schenkt? Wie geht es mir eigentlich bei oder nach dem Austausch? Wir haben das eine Weile beobachtet.
Wir haben tatsächlich Freude erlebt: Es gibt Wertschätzungen, über die wir uns freuen. Das Zuhören des anderen hat uns Freude geschenkt, ebenso der Eindruck, angenommen zu sein. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass mich Bertrams Fragen belebt haben, belebt sein – auch das ist ein Gefühl der Freude.
Aber wir hatten auch Austausche, nach denen wir kein Gefühl benennen konnten. Sie waren so etwas wie neutral. Es gab auch einen Austausch, nach dem ich mich geärgert habe über den Ärger, den mir Bertram mitgeteilt hat. Manchmal bin ich auch ein wenig enttäuscht über Bertrams Wertschätzung, denn bei Wertschätzung bin ich unersättlich.
Wir stellen fest: Freude beim Austausch ist nicht garantiert, und es würde uns in eine Sackgasse führen, wenn wir beim oder nach jedem Austausch Freude erwarten. Wenn wir aber auf die Geschichte unserer jahrzehntelangen Dialoge zurückblicken, sehen wir: Durch sie war so viel Wachstum für uns persönlich und in unserer Beziehung möglich. Durch sie haben wir so sehr unsere Nähe zueinander gestärkt. Unsere beiden wichtigsten emotionalen Grundbedürfnisse werden durch den Dialog gestillt: Einen Eigenwert haben (durch das Wachstum) und das Geliebt werden (durch die erlebte Nähe). Damit geht es uns gut. Wir schauen mit Zufriedenheit und Freude auf unseren Weg.
Wie wir zu dieser langfristigen Freude und Zufriedenheit kommen, darum geht es jetzt.
Fallen beim Austausch
Wir kennen sieben Fallen, die unseren Austausch erschweren. Sie werden auch beim Weiterbildungswochenende: „Dialog – zwischen Lust und Frust“ bearbeitet.
Falle 1: Der Glaube: „Es muss uns nach dem Dialog gut gehen!“ (sofort und immer)
Diese Falle haben wir im ersten Abschnitt angesprochen. Es ist die Erwartung, dass es uns unbedingt sofort und immer gut geht nach dem Austausch. Aber das ist eine Illusion und es würde uns in eine Sackgasse führen, wenn wir das bei jedem Austausch erwarten. Der Dialog ist Arbeit an der Beziehung. Keine Arbeit vermittelt immer Glücksgefühle.
Falle 2: Kein Heftaustausch
Wenn wir einander die Briefe vorlesen, statt die Hefte auszutauschen, fließen Satzmelodie und Körpersprache mit ein, die beim Vorlesen zum Ausdruck kommen. Auch besteht die Versuchung, noch Erklärungen anzufügen, etwas abzuschwächen oder zu verstärken. Das ist nicht hilfreich, um in einen guten Austausch zu kommen. Wir haben auch festgestellt, dass wir sehr viel konzentrierter sein müssen als beim Lesen, und es schwer ist, die Stellen zum Nachfragen im Kopf zu behalten, bis wir sie stellen können.
Gegenmittel:
Die Hefte immer austauschen und den Brief zweimal lesen. Das Austauschen der Hefte erfordert mehr Vertrauen als das Vorlesen, da ich mein Geschriebenes dann aus der Hand gebe.
Falle 3: Eigene Gefühle beim Zuhören einbringen
Beim Austausch geht es mir (Heike) manchmal so, dass es mich drängt, gleich zu sagen, was das Gelesene bei mir auslöst. Aber das sollte ich nicht tun, denn dadurch wird mein Zuhören mit dem Herzen gestört. Ich stelle dann mich in den Mittelpunkt, statt bei Bertram zu bleiben. Was sagt das über mich und meinen Selbstwert, dass ich mich zu unpassender Zeit in den Vordergrund stellen will? Muss ich immer gesehen werden? Als Zuhörerin ist es meine Aufgabe, meine Gefühle wahrzunehmen, für mich zu benennen und dann zur Seite stellen. Das ist weder Verdrängen noch mangelndes Vertrauen. Wenn es mir hilft, kann ich mir meine Gefühle notieren. Ich kann später zu ihnen zurückkehren. Doch im Augenblick des Lesens gilt es, eine Entscheidung zu treffen: Jetzt bist du wichtig!
Erfahrung: Bertram ist gelegentlich noch als Referent unterwegs. Als er das letzte Mal schrieb, dass er traurig war, wegfahren zu müssen, war mein spontaner Gedanke: „Du hast es dir doch so ausgesucht.“ Dieser Gedanke machte mich ärgerlich. Und mein Ärger machte es mir schwer, mich auf Bertrams Trauer einzulassen, ihm wirklich zuzuhören. Ich musste den Satz: „Du hast es doch so gewollt,“ geradezu herunterschlucken. Ich hielt mir vor Augen, dass ich jetzt einfach nur Bertrams Gefühl hören will, um ihm meine Liebe und Annahme zu zeigen.
Gegenmittel:
Hilfreich ist es, wenn ich mir vor Augen halte: Zuhören heißt nicht Zustimmen! Wenn ich starke unangenehme Gefühle beim Hören hatte, mag ich als Dialogfrage für den nächsten Dialog: „Wie ging es mir, als wir letztes Mal ausgetauscht haben?“
Falle 4: Kritik am Geschriebenen oder an der Antwort des Partners / der Partnerin üben
Nachdem wir so „schön“ erkannt und verstanden hatten, wie wichtig es ist, Gefühle richtig auszudrücken, machten wir uns manchmal kritisch darauf aufmerksam, dass das kein Gefühl ist, was der / die andere jetzt geschrieben oder geäußert hat. Wenn wir das tun, reagieren wir überheblich.
Gegenmittel:
Ich halte mir vor Augen: Der Zuhörer / die Zuhörerin hat immer die Aufgabe, mit dem Herzen zu hören, selbst wenn ein Vorwurf gemacht wird. Der Austausch dient dazu, den anderen Annahme spüren zu lassen. Er ist kein Kurs in Rechtschreibung oder Grammatik und auch keine Übungsstunde für das korrekte Schreiben von Liebesbriefen. Die Annahme ist wichtiger als das Verstehen im Sinne von Nachvollziehen des Erlebten. Es geht noch nicht einmal um das korrekte Beantworten meiner Fragen.
Falle 5: Problemlösung beim Dialog suchen
Erfahrung: Bertram teilt mir (Heike) mit, dass er unangenehme Gefühle bei dem Gedanken hat, sein Büro auszumisten. Da fällt es mir schwer, keine gut gemeinten Vorschläge zu machen, wie er das Aussortieren leicht hinbekommen könnte. Hinter meinem Wunsch, eine Problemlösung anzubieten, steckt die Einstellung: Ich kann sehr gut aussortieren und Bertram müsste es nur so machen wie ich es mir vorstelle. Auch mein Wunsch, dass es vorangeht mit dem Ausmisten, macht es mir schwer, mich mit Lösungen zurückzuhalten. Meine Ungeduld macht es mir schwer, Bertram mit seinem Tempo anzunehmen.
Gegenmittel:
Beim Dialog bleibe ich bei den Gefühlen. Nach dem Dialog kann ich fragen, ob mein Partner / meine Partnerin meine Sicht, meinen Rat oder sonst etwas brauchen kann.
Falle 6: Endloser Austausch
Der Austausch muss zeitlich begrenzt sein! Wichtige Dialogregel: 10/10 (10 Minuten Schreiben und 10 Minuten Austausch).
Das ist umso leichter, je regelmäßiger wir schreiben. Wir haben oft gehört, dass Paare die Motivation für den Dialog verloren hatten, wenn sie den ganzen Abend ausgetauscht haben.
Gegenmittel:
Ein bewusstes Abschließen des Austausches ist hilfreich. Dazu danken wir einander.
Wir schließen unsere Hefte und legen sie zur Seite als Zeichen, dass der Dialog jetzt vorbei ist. Wenn es noch etwas zu besprechen gibt, entscheiden wir anschließend, ob wir das jetzt tun wollen.
Mit dem Austausch müssen wir kein bestimmtes Gefühl erreichen, den anderen nicht vollkommen verstehen und erst recht kein Problem lösen. Wir wollen einander nur Annahme schenken. Und das ist in 10 Minuten möglich.
Falle 7: Unsere Unvollkommenheit nicht annehmen
Wir erfahren auch, dass wir an unsere Grenzen beim Austausch geraten.
Erfahrung: Vor einiger Zeit hatten wir zu der Frage geschrieben: „Welche Gefühle habe ich, wenn ich an meinen Fernsehkonsum denke?“
Je mehr ich (Bertram) mich beim Schreiben auf dieses Thema einließ, umso unangenehmer wurde es mir. Meine Gedanken gingen dahin, dass es gut wäre, etwas zu ändern. Die Erfahrung zeigte aber, dass es mir bisher nicht gelungen war. Ich konnte mich mit meiner Unvollkommenheit nicht annehmen, und ich habe es bereut, mich auf dieses Thema für den Dialog eingelassen zu haben. Solch eine Erfahrung mit dem Dialog kann dazu führen, den Dialog als gutes Werkzeug für die Beziehungspflege in Frage zu stellen. „Das schaffe ich ja doch nie.“, „Was soll das Ganze?“, „Das bringt doch nichts!“ sind mögliche Reaktionen aus der Enttäuschung heraus.
Gegenmittel:
Ich bemühe mich darum, mich mit meiner Unvollkommenheit und mit meinen Schwächen anzunehmen und gnädig mit mir zu sein. Ich versuche gelassen zu werden, gnädig mit dem anderen und mir zu sein, mir selbst und dem andern zu verzeihen.
Praktische Hinweise für den Austausch
Für uns war es wichtig, „Struktur“ in unseren Austausch zu bringen. Dazu wollen wir sieben Hilfen vorstellen, die auch aus den Brückentreffen bekannt sind.
1. Hilfe: Einander zuwenden
Wer zuhört, zeigt durch seine Körperhaltung und durch Gesten sein Interesse. Meine äußere Haltung unterstützt meine innere Haltung. Wir setzen uns nach Möglichkeit nicht nebeneinander, sondern mit dem Gesicht einander zugewandt. Dann überreichen wir uns unsere schönen Hefte wie ein Geschenk.
2. Hilfe: Briefe zweimal lesen, Stellen zum Nachfragen markieren
Wir lesen den Brief zweimal. Beim ersten Mal lernen wir den Inhalt kennen. Beim zweiten Mal markieren wir uns ein bis zwei Gefühle, zu denen wir nachfragen wollen. Das zweite Lesen hilft außerdem sehr, sich in die andere Person zu versetzen, um zu verstehen. Wir beide haben das Markieren lange vernachlässigt, doch in letzter Zeit die Erfahrung gemacht, dass wir mit den markierten Punkten wesentlich besser vorbereitet in den Austausch gehen und intensiver fragen.
3. Hilfe: Entscheiden, wer in der Rolle des Zuhörenden ist, und wem zugehört wird – und bei der Rollenverteilung bleiben.
Diese Rollen wechseln bei einem Austausch in der Regel nur einmal. Mit dieser Regel umgehen wir Falle 3: Eigene Gefühle beim Zuhören einbringen.
4. Hilfe: Dank für die Wertschätzung
Die Wertschätzung am Anfang des Liebesbriefes ist ein Zeichen der Aufmerksamkeit und Zuwendung für den anderen. Dafür bedanken wir uns am Anfang des Austausches. Gelegentlich gehen wir auf den einen oder anderen Aspekt ein.
So hatte ich (Heike) mir Zeit genommen, eine neue Kreditkarte zu beantragen. Zu solchen Aufgaben muss ich mich richtig überwinden. Da habe ich mich gefreut, dass Bertram meine Entschiedenheit geschätzt hat, dass ich es angegangen bin. Das habe ich Bertram auch gesagt. Bei Freude über die Wertschätzung stelle ich meine Gefühle ausnahmsweise nicht zurück.
5. Hilfe: Gelesenes (wörtlich) wiedergeben
Nach dem Dank für die Wertschätzung beginnen wir den Austausch damit, dass wir mit eigenen Worten oder auch wörtlich wiedergeben, was wir gelesen haben. Ich stelle mich so noch mehr auf den anderen ein. Verweilen beim anderen wird möglich. Ich mag das sehr, wenn Bertram meinen Brief wiedergibt. Ich erlebe mich dann sehr gehört. Wenn ich Bertrams Brief wiedergebe, möchte ich ihm zeigen, dass ich ganz bei ihm bin, mich auf ihn einstelle und mehr von ihm erfahren möchte.
6. Hilfe: Offene Fragen stellen
Offene Fragen muss man mit Sätzen beantworten. „Ja“ oder „nein“ reichen als Antwort nicht aus. Mit offenen Fragen möchte ich meinen Partner / meine Partnerin ermutigen, sich zu öffnen. Das bietet die Chance, dass er / sie sich selbst besser kennenlernt, und ich kann ihm / ihr Annahme zeigen.
Einige offene Fragen:
- Wie stark ist dein Gefühl?
- Beschreibe mir dein Gefühl bitte mit einer Farbe oder in einem Bild.
- Wie geht es dir, wenn wir jetzt darüber austauschen?
- Wie fühlt sich der Ärger (oder ein anderes Gefühl) für dich an? Mach es mir bitte noch deutlicher.
Die an sich gute Frage: Was täte dir jetzt gut? Kann auf eine Problemlösung ausgerichtet sein und ist dann nicht hilfreich.
WARUM-Fragen passen nicht für den Dialog, denn Gefühle brauchen nicht begründet werden. Wir stellen sie, wenn wir Entscheidungen treffen.
7. Hilfe: Wir bedanken uns für die Offenheit des Partners / der Partnerin
Im letzten Schritt bedanken wir uns für die Offenheit unseres Partners / unserer Partnerin, schließen damit den Dialog ab und legen die Hefte zur Seite.
Beispiele:
- Danke, dass ich das von dir erfahren durfte.
- Es tat mir gut zu hören, dass du mir keinen Vorwurf machen willst.
- Danke, dass du mein Bemühen wahrgenommen hast.
Zusammenfassende Checkliste:
- Einander zuwenden
- Liebesbrief überreichen (wie ein Geschenk)
- Zweimal lesen
- 1-2 Stellen zum Nachfragen markieren
- Rollen festlegen: Wer hört zu? Wer fragt nach?
- Danken für die Wertschätzung
- Gelesenes in (eigenen) Worten wiedergeben
- Offene Fragen stellen
- Austausch nach 10 Minuten beenden, Hefte schließen und zur Seite legen.
Wir wünschen euch reiche Früchte bei euren Dialogen (Liebesbrief und Austausch).
Heike Schmitten-Kösler & Bertram Kösler
Dialogfragen zum Thema Freude am Austausch
- Was habe ich gedacht, als ich das Thema: „Freude am Austausch“ das erste Mal gehört habe? Wfim, wenn ich dir das mitteile?
- Was hilft mir beim Austausch? Wfim, wenn ich dir das mitteile?
- Welche Fallen beim Austausch entdecke ich bei mir?“ Wfim, wenn ich dir das mitteile?
- Bei welcher Gelegenheit habe ich die Erfahrung gemacht, dass mich eigene starke Gefühle beim Zuhören hindern bzw. das Zuhören erschweren?
Welches Gefühl war es und wie bin ich damit umgegangen? Wfim, wenn ich dir das mitteile? - Wählt eine einfache Dialogfrage, z.B.: Welches angenehme und welches unangenehme Gefühl möchte ich dir von heute oder den letzten Tagen mitteilen? Beachtet beim Austausch die Checkliste. Welche Erfahrung macht ihr damit?
- Nachdem ihr die Checkliste (evtl. mehrfach) ausprobiert habt: Worauf möchte ich in Zukunft bei mir im Austausch besonders achten? Wfim, wenn ich dir das mitteile?
Titelbild:
Foto: Marie-Theres & Uwe von de Loo
Montage: Monika Weithmann-Kraus & Franz Kraus