Das Thema „Freude am Liebesbrief“ ist der erste von zwei Teilen zum Thema „Freude am Dialog.“ Der Schwerpunkt dabei soll sein: Wie kann diese Freude erhalten bleiben? Unser Beitrag beruht auf unseren eigenen Erfahrungen mit dem Liebesbrief und mit dem, was wir im Austausch mit anderen Paaren erkannt haben.
Wir wollen uns die einzelnen Schritte anschauen, die Chancen, die in ihnen liegen betrachten und auch die „Stolpersteine“ ansehen, die dabei auftreten können.
Dabei geht es nicht darum, zu erkennen, was ich falsch mache, sondern wo für mich Möglichkeiten liegen, noch mehr vom Dialog zu profitieren. Unser Ziel ist doch: Eine mit Freude erfüllte lebendige Beziehung.
Als uns beiden damals im Wochenende der Liebesbrief vorgestellt wurde, welche spontanen Gedanken und Gefühle kamen da in uns hoch?
Ursula: Ich war sofort davon begeistert. Hier sah ich die Chance, meine Gedanken und Gefühle auszudrücken, ohne gleich von meinem wortgewaltigen Friedhelm unterbrochen oder sogar niedergeredet zu werden. Dabei hilft mir auch heute immer noch, auch unsere Gefühle zu schönen und positiven Erfahrungen auszutauschen und nicht erst dann das Dialogheft in die Hand zu nehmen, wenn es brennt.
Friedhelm: Als man uns dann im Wochenende auch noch aufforderte: „Nehmt den Dialog mit nach Hause und führt ihn täglich weiter“, dachte ich an diesem Punkt: Nein, das werde ich nun doch nicht tun, woher soll ich denn dazu auch noch die Zeit hernehmen? Doch schon am nächsten Tag griff auch ich zum Heft, und für sehr lange Zeit blieben wir täglich dabei. Dabei wurde es wichtig für uns, es wirklich bei jeweils 10 Minuten fürs Schreiben und 10 Minuten fürs Austauschen zu belassen, diese Zeit konnten wir uns doch nehmen. Wenn es insgesamt länger als eine halbe Stunde dauert, wird es schnell zur Belastung.
Ursula: Nach unserem Wochenende vor 43 Jahren waren wir beide richtige Fans des Liebesbriefes geworden. Endlich konnten wir unser Inneres mit unseren Gefühlen ausdrücken und uns dem Partner damit verständlich machen. Wir schrieben uns lange Zeit wirklich täglich und fanden auch unter unwahrscheinlichsten Umständen die Gelegenheit dazu – weil es uns so guttat. Als wir mit einer Schulklasse im Landheim waren, haben wir die Zeit genutzt, in der die Schüler mit Aufgaben beschäftigt waren, um uns einen Liebesbrief zu schreiben. Im Urlaub wurden unsere Hefte in den Rucksack gepackt, und wir haben oft bei Wanderungen unterwegs unseren Liebesbrief geschrieben. Besonders beeindruckend war für mich, als wir im Anblick des Monte-Rosa-Gletschers unsere Gefühle zu diesem gewaltigen Naturerleben niederschrieben.
Gegenseitiges Einladen
Friedhelm: Wenn wir heute immer noch schreiben, geschieht es meist aus Entscheidung. Die guten Erfahrungen damit motivieren uns immer noch, es wenigstens regelmäßig zu tun. Meist lädt einer von uns beiden den anderen ein oder wir halten uns an einen verabredeten Tag. Wir schieben es aber nicht auf den Abend, sondern nutzen meist den Nachmittag. Uns ist es wichtig, dass die Initiative zum Schreiben nicht immer nur vom selben Partner ausgeht, sondern dass wir uns beide wechselseitig dazu einladen. Meine sonst eher zurückhaltende Ursula kann da sehr aktiv sein, ja auch herausfordernd, wenn sie erkannte Schwierigkeiten gleich anpacken möchte.
Ursula: Wenn ich Schwierigkeiten wie Ärger oder andere schwere Gefühle zu lange vor mich herschiebe, kann es passieren, dass ich losschimpfe und ungerecht werde. Teile ich meine Gefühle dann aber mit, spüre ich eine Erleichterung. Ich fühle mich von einem Druck befreit und werde entspannter.
Friedhelm: Wenn der eine von uns einlädt, kommt es so gut wie nie vor, dass der andere ablehnt. Es ist uns fast selbstverständlich geworden, der Einladung zu folgen. Oft bin ich geradezu erleichtert, wenn die Einladung kommt. Ich weiß ja, dass es ein Angebot aus Liebe ist. Ganz selten nur habe ich andere Verpflichtungen angeführt. Der Dialog ist für uns ein Werkzeug, unsere Liebe zu pflegen. Wenn es zu lange in der Kiste liegt, setzt es Rost an. Deshalb nehmen wir es öfter in die Hand, nicht erst bei Reparaturbedarf.
Ursula: Für einige kann es auch ein längerer Prozess sein, zum regelmäßigen Schreiben eines Liebesbriefes zu kommen. Es lohnt sich aber, auf jeden Fall dran zu bleiben. Eine gute Hilfe dazu bilden die Dialoggruppen, Gemeinschaftstreffen und Weiterbildungsangebote.
Finden von Fragen
Eine erste Schwierigkeit beim Schreiben eines Liebesbriefes kann schon im Finden der Frage liegen. Damit sollten wir uns allerdings nicht allzu lange aufhalten. Es geht ja nicht um das Suchen einer Frage, die Zeit dafür verwenden wir lieber für das Schreiben des Liebesbriefes. Dabei helfen uns, wenn uns gerade nichts besonders Wichtiges am Herzen liegt, ein paar einfache Standardfragen:
- Was beschäftigt mich heute und wie fühle ich mich dabei?
- Was ist heute mein stärkstes Gefühl?
- Was lebt noch in mir, was ich dir noch nicht mitgeteilt habe?
- Wfim, wenn ich an unseren letzten Austausch denke?
- Was macht mir zurzeit Freude in unserer Beziehung und was bereitet mir Mühe? Wfim?
Friedhelm: Und beim Schreiben zu einer solchen vermeintlichen Allerweltsfrage geschieht es dann oft ganz von selbst, dass wir dann doch auf etwas Wichtiges stoßen, das uns am Herzen liegt, aber was uns beim Suchen der Frage noch nicht so klar war. Wir schreiben uns nämlich in die Klarheit, wenn wir unsere Gefühle anschauen, um sie uns mitzuteilen.
Im Übrigen finden wir Fragen ja auch in der ME-Zeitung, in den Sonntagsimpulsen oder im Internet. So sind auf der Seite der deutschen Gemeinschaft viele Vorschläge zu finden, und auf der Seite von ME-Österreich gibt es die Dialogfrage des Tages. (www.marriage-encounter.at/we-teilnehmer2/) Benutzername: we-teilnehmer, Kennwort: miteinander.
Wertschätzung als besonderes Geschenk
Ursula: Beim Schreiben sitzen wir uns meist am Esstisch gegenüber. Wir beginnen mit einer liebevollen Anrede, die gleich unser Wohlwollen dem Partner gegenüber zum Ausdruck bringen soll. Viele Paare haben so ihre Kosenamen und benützen diese dann auch.
Friedhelm: Bevor es zum Inhalt der Frage geht, kommt eine ausführliche Wertschätzung. Wir teilen dem Partner mit, was wir an ihm gerade heute so besonders schätzen. Das geht auch dann, wenn wir gerade nicht nur angenehme Gefühle verspüren. Wichtig ist dabei, nicht einfach das wertzuschätzen, was der Andere tut bzw. getan hat, sondern was und wie er ist, seine liebenswerten Eigenschaften zu benennen. Das hilft dann hinterher auch dazu, nicht in Vorwürfe zu geraten.
Ein paar Beispiele aus unseren Heften:
U: Ich schätze heute deine liebevolle Aufmerksamkeit und deine Komplimente.
F: Ich schätze heute an dir die gelöste, heitere Stimmung.
U: Heute schätze ich an dir deine Gelassenheit angesichts des neuen Stresses.
F: Ich schätze an dir, wie rücksichtsvoll du heute mit mir umgehst.
U: Ich schätze heute an dir deinen einfühlsamen Umgang mit unserem Enkelkind.
F: Heute schätze ich an dir, wie freundlich und liebenswürdig du trotz deiner Schmerzen bist.
Ursula: Oft gibt Friedhelm mir eine Wertschätzung, die mich aufbaut und mir Freude macht. Sie ist dann ein besonderes Geschenk.
Wenn ich gekränkt und ärgerlich auf Friedhelm bin, kann die Wertschätzung zu Beginn des Liebesbriefes eine heftige Herausforderung für mich sein. Ich finde dann nichts Liebenswertes an ihm. Da ist es für mich besser, erst mal Abstand zu gewinnen und zu warten, bis mein Ärger abgekühlt ist. Dann wird der Dialog auch nicht zum Fiasko und das Heft landet nicht im Papierkorb, wie es uns in den frühen Jahren schon mal passiert ist.
Der Liebesbrief ist kein Problemlöser
Wir benutzen den Liebesbrief auch nicht als Problemlöser – aber wenn wir ihn geschrieben und darüber ausgetauscht haben, lassen sich die Probleme leichter lösen.
Friedhelm: Nach der Wertschätzung schreiben wir einfach drauflos, ohne Stoffsammlung oder Disposition. Ich mache auch keine langen Pausen zum Überlegen, sondern lasse es spontan in die Feder fließen. Es geht ja nicht darum, ein Thema zu bearbeiten, sondern es geht darum, uns mitzuteilen mit unseren Gefühlen, Gefühlen, Gefühlen. Da können wir niemals das Thema verfehlen. Die Beschreibung dieser Gefühle ist der eigentliche Hauptteil unseres Liebesbriefes und wir drücken sie möglichst plastisch aus mit Eigenschaftswörtern, in Bildern und Vergleichen. Da brauchen wir auch keine Begründungen oder Rechtfertigungen. Gefühle sind ja einfach spontan da.
Ursula: Ich benutze gerne Vergleiche und Bilder von gemeinsamen Erlebnissen wie:
- Ich fühle mich so überwältigt wie damals beim Anblick des Sternenhimmels in der marokkanischen Wüste. oder:
- Ich fühle mich so verzweifelt und ärgerlich wie neulich, als mir eine Schüssel mit heißem Spinat aus den Händen fiel. oder:
- Ich fühle mich so erleichtert und froh wie nach meiner Fuß-OP, als ich endlich von den schlimmen Schmerzen befreit war. oder:
- Ich fühle mich so begeistert wie bei unserem letzten Besuch auf der Blumeninsel Mainau.
Wir schreiben ehrlich und doch voller Zärtlichkeit. Wir bleiben bei uns und bei dem, was in uns lebt und unterlassen verstandesmäßige Erklärungen zum Thema oder gar Vorwürfe. Das Thema sind wir selbst und unsere Gefühle. Da spielt dann die ursprüngliche Frage auch nicht mehr die Hauptrolle.
Zum Abschluss schreiben wir dann noch einen liebevollen Gruß und überreichen unseren Brief dann als Geschenk, ohne wertmindernde Bemerkungen wie: Mir ist nicht viel eingefallen o.ä. Und beim Überreichen der Hefte geben wir uns einen Kuss.
Friedhelm: Als wir nicht recht wussten, wie wir diesen Artikel anfangen sollten, schlug Ursula vor, zuerst einen Liebesbrief zu schreiben zu der Frage: Wie fühle ich mich, wenn ich an unseren Weg mit dem Dialog denke?
Ursula schrieb: Mein liebster Schatz, ich habe deine Geduld und Ruhe mit den PC-Schwierigkeiten bewundert und geschätzt. Sicher auch ein Ergebnis des langen Weges mit dem Dialog und dem Umgang mit Gefühlen.
Wenn ich an unsere bald 43 Jahre mit dem Dialog denke, waren besonders die ersten Jahre ein Weg der Befreiung. Das Erkennen und Benennen der Gefühle waren damals für mich ein Weg zu mir selbst. Ich habe mich selber kennengelernt. Indem ich deine Gefühle im Dialog wahrnahm, konnte ich auch viele Verhaltensweisen von dir besser verstehen und auch annehmen.
Das hat dann dazu geführt, dass viele Spannungen schon im Vorfeld abgebaut werden konnten. Ich fühlte mich im Umgang mit dir lockerer und entkrampfter und spürte auch nicht mehr die Angst, durch eine falsche Bemerkung in das Wespennetz deiner Gefühle zu treten. Unser Vertrauen wurde immer fester und intensiver, und so haben wir mit den Jahren immer intensivere Nähe erfahren.
Ich fühle mich dabei angenommen und geliebt, wie in eine warme Decke gehüllt. Wenn ich daran denke, fühle ich mich reich beschenkt und auch befreit. Ich spüre dabei große Dankbarkeit. Ich fühle mich beschenkt mit einem Geschenk, das unserer Beziehung immer wieder aufs Neue guttut. So mancher Liebesbrief belebte unsere Beziehung wie ein Strauß roter Rosen. Ohne Dialog könnte ich mir unser Leben nicht mehr vorstellen.
In tiefer Liebe
Schalom
deine Ursula
Friedhelm schrieb: Liebste Ursula, ich schätze sehr deine Lebendigkeit und Frische heute Morgen. Ebenso schätze ich deine liebevolle Fürsorge für meine Gesundheit.
Wenn ich bedenke, welche entscheidenden Entwicklungen der Weg mit dem Dialog für unsere Beziehung eröffnet hat, fühle ich mich wie vor einem großen Früchtekorb und einem bunten Herbststrauß. Es hat sich dabei ganz Wesentliches für uns gewandelt. Der Liebesbrief ist für mich das genau passende Instrument für die Pflege einer intimen Liebesbeziehung. Ich kann mich dabei in die Klarheit hineinschreiben und dir mein Inneres als Geschenk hinhalten – und empfange das Gleiche von dir. Das macht mich immer noch glücklich und froh. Ich möchte auf unserem gemeinsamen Weg durchs Leben weiter an diesem Werkzeug festhalten, es ist so einfach und gleichzeitig so wirksam.
Ich fühle mich freier, entspannter und sicherer in unserer Liebe. Ich fühle mich dabei wirklich wie von einem Engel begleitet, der uns den für uns passenden Weg zu einer erfüllten Liebesbeziehung gewiesen hat.
Es tut mir so gut zu erleben, wie wir bei allen Beschwerden und Einschränkungen des Alters doch immer noch unsere Liebe leben und pflegen dürfen. Ich fühle mich da auf der Sonnenseite des Lebens.
Ich liebe dich von ganzem Herzen
Schalom
dein Friedhelm
Jetzt wünschen wir euch gute Erfahrungen mit dem Liebesbrief. Möge die regelmäßige Praxis auch euch viel Freude am Dialog vermitteln. Das wünschen wir euch von Herzen und grüßen mit Schalom
Ursula & Friedhelm
Dialogfragen zum Thema FREUDE AM LIEBESBRIEF:
- Was beschäftigt mich heute und wie fühle ich mich dabei?
- Was ist heute mein stärkstes Gefühl?
- Was lebt noch in mir, das ich dir noch nicht mitgeteilt habe?
- Wfim, wenn ich an unseren letzten Austausch denke?
- Was macht mir zurzeit Freude in unserer Beziehung, und was bereitet mir Mühe? Wfim?
- Wie fühle ich mich, wenn ich an unseren Weg mit dem Liebesbrief denke?
- Ich denke an einen Dialog, bei dem ich mich von dir besonders angenommen gefühlt habe. Was hatte mir da geholfen? Wfim, wenn mir das bewusst wird?
- Woran erinnere ich mich besonders, wenn ich an unser ME-Wochenende denke? Wfim?
- Kleine Kraftquellen im Alltag: was lebt dabei in mir – wie und wo kann ich sie finden? Wfim, wenn ich dir das mitteile?
- Es gibt Bereiche, wo du mir ein Rätsel bist. Wfim, wenn mir das bewusst wird?
- Wie erlebe ich den Liebesbrief, um einander näher zu kommen? Wfim bei meiner Antwort?
- Wfim bei der Art, wie wir miteinander kommunizieren, wenn ein Problem zu lösen ist?
- Was hindert mich daran, regelmäßig einen Liebesbrief zu schreiben? Was könnte es mir erleichtern? Wfim?
Titelbild: Monika Weithmann-Kraus & Franz Kraus