Einen Namen hat jede Frau, jeder Mann und jedes Kind,
jeder Arbeiter und Lehrling, jeder Mensch.
Nicht bloß Nummer! Unvertauschbar!
Nicht vom Fließband! Ganz einmalig!
Einen Namen hat er, weil er Mensch ist, gerufen von Gott.
Ansehen braucht jede Frau und jeder Mann und jedes Kind.
Nicht bloß Luft sein, übersehen,
nicht verachtet, keine Null sein!
Er braucht Ansehen, weil er Mensch ist,
weil Gott ihn anschaut wie mich.
(Hermann-Josef Coenen)
Wir Menschen trachten sehr nach Ansehen. Beim Nachdenken stellen wir fest, dass jeder von uns danach strebt, angesehen zu werden. Ein kleines Kind stellt sich meistens gerne in den Mittelpunkt, sucht immer wieder Aufmerksamkeit. Aber auch mir tut es im banalen Alltag gut, z.B. beim Betreten eines Ladens angesehen und begrüßt zu werden. Und es macht mich traurig, wenn im Gespräch mit Freunden sich plötzlich jemand seinem Handy widmet.
Beim Zeitungsteamtreffen in Amöneburg haben wir uns dem Thema genähert über das Betrachten einer Jesus-Ikone. Sie sagt uns, dass Gott jeden einzelnen von uns mit Liebe anschaut. Das Lied „Im Anschauen deines Bildes werde ich verwandelt in dein Bild“ half uns bei dieser Betrachtung. Ich bin eingeladen, mich über das angeschaut werden von Gott zu freuen. Es kann mir sagen: du bist für mich da.
Nach einem Austausch haben sich die Paare auf folgende Übung eingelassen: die Partner stellen sich einander gegenüber, legen die Hände auf die Schulter des anderen und schauen sich 2 Minuten schweigend an.
Der Herr segne dich und behüte dich.
Er zeige dir sein Angesicht und erbarme sich deiner.
Er blicke dich an und gebe dir Frieden.
Diesen Segensspruch liest Hermann Vers für Vers und die Paare wiederholen ihn. Im Anschauen sagen sie sich Gottes Liebe zu und geben sich den Frieden. Eine starke und tief berührende Erfahrung.
Wenn wir über Berührung und Anschauen in der ME-Gemeinschaft nachdenken, kommen wir schnell zur Bedeutung des Wortes „Schalom“. Es bedeutet in unserer Gemeinschaft „Bei mir ist Platz für dich“. Für mich, Hermann, war das am Anfang sehr schwierig, weil meine Hemmungen sehr groß waren. Meine Erkenntnis, dass ich dafür da bin, in meinem Herzen Platz zu machen für die Paare, hilft mir, dies auch mit meinem Körper auszudrücken. Darin sehe ich eine Möglichkeit, mich für den anderen zu öffnen. Für uns Paare ist es wichtig, dies bewusst zu halten, und den Schalom nicht zu einer oberflächlichen Begrüßungsart zu degradieren. Ich sehe den anderen kommen. Bevor ich ihn berühre, schaue ich ihn an. Schalom kann ein ganz tiefgehendes Werkzeug sein, um dem anderen Ansehen zu geben, zu schenken.
Im Evangelium bei Lk 7, 36ff sagt Jesus zu dem Pharisäer „Du hast mich nicht mit einem Bruderkuss begrüßt“, d.h. du hast mich nicht gesehen, du hast mir kein Ansehen gegeben. Die Sünderin berührt Jesus. Er lässt die Frau gewähren. Dadurch gibt er ihr Ansehen und schenkt ihr Heil.
Im Dialog schrieb ich, Karl: du, meine Frau, hast mir Ansehen gegeben und mich dadurch geheilt.
Gebet von Anthony de Mello
Ich hatte ein ziemlich gutes Verhältnis zum Herrn. Ich pflegte ihn um Dinge zu bitten und ihm zu danken. Aber ich hatte stets das unangenehme Gefühl, er wolle mich veranlassen, ihm in die Augen zu sehen. Und ich wollte nicht. Ich redete zwar, blickte aber weg, wenn ich spürte, dass er mich ansah. Immer sah ich weg, und ich wusste, warum. Ich hatte Angst, einen Vorwurf dort zu finden wegen irgendeiner noch nicht bereuten Sünde. Ich dachte, ich würde auf eine Forderung stoßen: irgendetwas wollte er von mir. Eines Tages fasste ich Mut und blickte ihn an. – Da war kein Vorwurf. Da war keine Forderung. Die Augen sagten nur: “Ich liebe dich!“. Und ich ging hinaus und weinte wie Petrus.
Dieses Gebet spricht mich, Trudi, auch direkt in meinem Alltag an. Wie oft schlage ich keinen Dialog vor aus Angst, einen Vorwurf zu hören oder in deinen Augen zu lesen. Wenn ich es trotzdem wage, stelle ich fest: es kommt kein Vorwurf. Du schaust mich nur liebevoll an. Und dann ist da das starke Empfinden: durch dich schaut Gott mich an.
Ein herzliches Schalom sagen euch
Trudi & Karl Lux und Hermann Pint
Dialogfragen
- Wie schenke ich dir Ansehen und wfim, wenn ich dir das schreibe?
- Was lebt in mir, wenn ich dich bei einem Gespräch nicht anschaue und wfim?
- Was lebt in mir, wenn du mich bei einem Gespräch nicht anschaust und wfim?
- Im Anschauen deines Bildes…: ich lerne immer besser, die Sicht Jesu zu erkennen. Was habe ich erkannt im Umgang mit dir?
- Was hilft mir, Berührung zuzulassen / Berührung zu schenken? Wfim, wenn ich dir das schreibe?
- Wir gehen zu einem ME-Treffen. Wie können wir uns bewusst auf die Begrüßung – den Shalom – vorbereiten? Wfim, wenn ich dir das schreibe?
- Welches Vorurteil, welches festgefahrene Bild von dir hindert mich, dich anzusehen? Wfim?
- Ich schaue zurück auf unser Leben. Wie war die Bedeutung von Anschauen und Berühren im Laufe unseres Lebens und wfim, wenn ich dir das schreibe?
- Gebet von Antony die Mello: was lebt in mir?
- Lk. 7, 36ff: wie kann ich dir/anderen Ansehen geben und wfim, wenn ich dir das schreibe?
- Jesus lässt sich berühren. Was lebt in mir, wenn ich das lese?
Titelbild: Monika Weithmann-Kraus und Franz Kraus