2019/3 Lieben ist eine Entscheidung – Besitz

Besitz ist einer der drei Urwünsche des Menschen. Diese drei Urwünsche, von denen eine große Antriebskraft für unser Leben ausgeht, sind Macht, Besitz und Sexualität.

Wir sehnen uns nach Besitz, weil wir hoffen, dass der Besitz uns innere Ruhe verschafft, dass wir durch ihn frei werden von der Sorge um das tägliche Brot. Aber zugleich erfahren wir, dass der Besitz unsere Sorgen noch vergrößert.

Besitz an sich ist nicht schlecht. Wir brauchen Kleider, Nahrung, Häuser, um leben zu können. Aber unser Umgang damit kann gut oder schlecht sein. Beispielsweise kann der Wunsch, etwas Bestimmtes besitzen zu wollen, dazu führen, dass wir in Gedanken ständig damit beschäftigt sind – geradezu besessen – und nicht mehr frei für das Leben und die Beziehungen um uns herum. Die Sorge um ein Besitztum kann so viel von unserer Zeit und Aufmerksamkeit besetzen, dass unversehens der Besitz uns besitzt. Wir machen uns, oft ohne es zu merken, abhängig von unserem Besitz.

Das gilt nicht nur für den materiellen Besitz wie Auto, Haus, Computer, Bücher, Musikanlage …, sondern auch für immateriellen/geistigen Besitz: berufliche Erfolge, Überzeugungen, Rituale, Hobbys usw. Letztlich kann ich sogar Beziehungen als Besitz begreifen, zum Beispiel, wenn ich Menschen an mich binden will, um gebraucht zu werden.

Es kommt also auf unseren Umgang mit dem Besitz an: Hindert er mich am Leben, steht er meinen Beziehungen zu Gott und den Menschen im Weg? Oder gebrauche ich ihn so, dass ich frei bin für das Leben und er meine Beziehungen vielleicht sogar bereichert? Vor allem: Wie kann das gehen?

Eine Antwort finden wir im Evangelium bei den drei „Evangelischen Räten“. Sie stehen den jeweiligen Urwünschen des Menschen gegenüber, wobei sie nicht als Gesetz zu verstehen sind, sondern als ein Weg der Gnade. Die evangelischen Räte „Gehorsam, Armut und Keuschheit“ zeigen uns, wie wir in unserer Beziehung zu Gott intensiv nach dem Evangelium leben und unsere tiefste Sehnsucht auf Gott richten können. Sie geben Grundhaltungen an, die für die Selbstwerdung des Menschen unabdingbar sind. Darüber hinaus beinhalten sie eine prophetische Sendung für unsere Welt, die frei macht zum Dienst an den Armen und Rechtlosen. (Grün/Schwarz 2006, S. 25ff).

Der Evangelische Rat der Armut steht dabei dem Urwunsch nach Besitz gegenüber. Doch was versteht man unter diesem Evangelischen Rat der Armut?

Anselm Grün (1) schreibt darüber:

„Armut besteht nicht darin, mir nichts zu gönnen. Es ist auch keine freudlose Askese damit gemeint. Im Gegenteil, Askese wird hier verstanden als Einübung in die Lust am Leben. Denn um genießen zu können, muss ich mich begrenzen. Genießen kann nur, wer auch verzichten kann.

Die Weisen haben zu allen Zeiten gefordert, man solle sich innerlich frei machen gegenüber dem Besitz, man solle fähig werden, den Besitz loszulassen, zu besitzen, als besäße man nicht, wie Paulus es ausdrückt (vgl. 1 Korinther 7).

Der Mensch, der alles an sich rafft und alles haben will, wird unfähig zu empfangen, unfähig, die Güter dieser Welt zu genießen, letztlich unfähig, sie zu seinem Nutzen zu gebrauchen. Rechter Gebrauch verlangt ein Loslassen des Gebrauchten.

Armut bedeutet, mein Leben mit anderen zu teilen. Armut macht überhaupt erst gemeinschaftsfähig. Nur wer seinen Besitz mit anderen teilt, kann Gemeinschaft erfahren. Jede Gemeinschaft ist immer auch in gewissen Sinne eine Gütergemeinschaft. Wer an seinem Besitz hängt und eifrig darüber wacht, dass ihm niemand zu nahe tritt, isoliert sich von den anderen.

Armut meint auch ein Loslassen der Sicherheiten. Für Anselm Grün widerspricht es der Armut, sich gegen alle Risiken absichern zu wollen: „Das Vertrauen auf Gott, der für den morgigen Tag sorgt (Mt 6), sollte an unserem Umgang mit den Dingen und mit dem Geld sichtbar werden.“

Vertrauen schenkt Freiheit, Gelassenheit und eine andere Qualität von Sicherheit, nämlich die Gewissheit, in Gottes Hand zu sein.

Armut heißt immer, sich selbst loszulassen, seine Vorstellungen vom Leben, von Sicherheit, vom Gelingen des Lebens loszulassen, um sich auf das Neue einlassen zu können, das Gott uns zutraut und zumutet.“

Anselm Grün entwickelt hier fünf Merkmale, die für den lebensfördernden, guten Umgang mit Besitz stehen: Empfangen, genießen, loslassen, teilen und vertrauen. Diese fünf Begriffe können uns eine Leitlinie für unser Verhalten sein. Zentral ist dabei das Loslassen.

Christoph:
Von meiner familiären Herkunft her bin ich sehr auf das Vorsorgen geprägt. Mit Geld gut haushalten, sparen und sich absichern waren bei uns zu Hause hohe Werte. So strebe auch ich danach, etwas zur Seite zu legen. Ich mache mir Gedanken, ob wir unser Geld sinnvoll angelegt haben, damit es für all die möglichen zukünftigen Bedürfnisse reicht. Mein Bedürfnis nach Sicherheit ist dabei sehr stark. Dahinter steckt unter anderem die tiefe Angst, es könnte etwas Unvorhergesehenes passieren und wir dadurch gezwungen sein, unser jetziges komfortables Leben aufzugeben. Es ist eine Angst vor dem Verlust dessen, was wir uns mühselig erarbeitet haben, auch die Angst vor dem Abstieg und der damit verbundenen Scham vor Freunden, Verwandten, Bekannten.

Viele unvorhergesehene, auch durchaus teure Rückschläge haben wir beim Bau unseres Hauses erlebt. Mehrmals mussten wir hier tief in die Tasche greifen, so dass kaum etwas von den beruhigenden Sicherheitspolstern übrig blieb. Dies fiel mir meist sehr schwer. Aber jedes Mal, wenn ich mich zum Loslassen des Geldes entschieden hatte, machte ich auch die Erfahrung von Gehaltensein und Befreiung, denn entgegen meinen Befürchtungen ging bisher immer alles gut aus. Ich musste regelrecht lernen (und muss es immer noch), dass das Ersparte auch ausgegeben werden darf, denn schließlich ist es ja genau dafür da.

Noch ein zweiter wichtiger Lernprozess verbindet sich damit: Ich durfte lernen, dass die Verantwortung für unser Geld nicht alleine bei mir liegt, sondern dass ich sie mit Kerstin teile. Ich neig(t)e oft dazu, einsame Entscheidungen zu treffen und war letztlich damit überfordert. Nun erkenne ich mehr und mehr, dass viele meiner Entscheidungen im Blick auf unser Geld oft zu sehr von Angst bestimmt und nicht immer die besten oder die einzig möglichen sind. Es kommt darauf an, dass wir uns hier ergänzen und dabei auch mein Bedürfnis nach Sicherheit einen angemessenen Platz bekommt.

Loslassen heißt für mich dabei, mich zum Vertrauen zu entscheiden und Kerstin in finanzielle Entscheidungen mit einzubeziehen. Je mehr ich das erkenne und mir eingestehe, desto gelassener und vertrauensvoller werde ich.

Kerstin:
Schaue ich auf meine immateriellen Besitztümer, fällt mir als eines der ersten mein Hobby Gesang ein. Ich singe seit meiner Kindheit im Chor — mit vollem Einsatz und großem Enthusiasmus. Ich genieße es, meine Stimme gemeinsam mit den anderen zum Klingen zu bringen. Das Singen und die Musik löst Freude und Begeisterung aus – bei mir, bei den Mitsängern, bei den Menschen, die uns zuhören. Das erlebe ich als verbindend und gemeinschaftsstiftend. Christoph hat sich von meiner Leidenschaft für den Chorgesang anstecken lassen. Wir singen nun schon seit einigen Jahren gemeinsam in unserem Vocalensemble. Das verbindet uns sehr und bereichert unsere Beziehung. Für mich persönlich ist das Singen immer schon auch Gebet gewesen, denn vor allem in der geistlichen Musik mache ich die Erfahrung von Gottes Gegenwart. Das alles erfüllt mich mit Zufriedenheit und Dankbarkeit.

Zugleich erlebe ich mich oft unter Druck. Unser Chorleiter schätzt mich als gute Sängerin. Das ist eine Wertschätzung, die ich mir erhalten will. Doch dafür muss ich einiges tun, viel üben und sehr diszipliniert mitproben. Ich setze mich selbst unter Druck, um das Bild von der guten Sängerin aufrechtzuerhalten. Wenn ich daran festhalte, macht mir das Singen keine Freude. Dann ist es nur Abrufen von Leistung, ein Kämpfen um technisch perfekte Töne und fehlerloses Singen. Dann fühle ich mich allein, deprimiert und unzufrieden, denn natürlich bin ich nicht perfekt.

Im Schauen auf den evangelischen Rat der Armut ist mir klar geworden, dass der Weg zum rechten Gebrauch meiner Begabung und meines liebsten Hobbys über das Loslassen dieser Begabung/dieses Hobbys führt: Ich bin herausgefordert, mein Selbstbild von der hervorragenden Sängerin loszulassen, meine Vorstellung, dass ich nur dann etwas wert bin, wenn ich gut singe. Es geht nicht darum, dass ich die beste Sängerin bin (das wäre das eifrige Überwachen des Besitzes). Es geht darum, mich und meine Stimme in den Dienst der Chorgemeinschaft zu stellen, sodass aus dem Zusammenwirken der Stimmen Freude und innerer Reichtum für alle erwächst.

Doch es geht noch weiter: Ich bin herausgefordert, auch das Singen selbst innerlich loszulassen. Denn meine Stimme habe ich als Geschenk empfangen, für das ich nichts leisten muss. Ich bin auch ohne dieses Geschenk etwas wert.

Das innerliche Loslassen ist ein Prozess und braucht Zeit, das geht nicht von jetzt auf gleich. Den Einstieg in diesen Prozess habe ich durch ein Buch (2) gefunden, das zum Thema „Leere und Fülle“ eine für mich hilfreiche Frage, verbunden mit einer Aufgabe, stellte:

„Woran hänge ich? Ich schreibe drei Dinge oder Themen, an denen ich hänge, auf drei verschiedene Karten.

Dann stelle ich mir vor, mich Schritt für Schritt von jedem der drei Punkte (Karten) zu trennen, und ich spüre nach, wie es mir dabei geht.“

Ich stellte mir vor, mich vom Singen zu trennen. Zu meiner Überraschung fühlte ich neben einer gewissen Traurigkeit auch Erleichterung und so etwas wie Befreiung, vor allem aber eine deutliche Gewissheit: Mein Leben geht auch ohne das Singen weiter und ist auch dann noch etwas wert. Ich brauche mich nicht daran festzuklammern. Ich kann loslassen, „weil Er mich nicht lässt“. In dieser Haltung versuche ich nun, mein Hobby zu leben.

Wir grüßen euch alle mit Shalom
Kerstin und Christoph

Literatur:

1.    Anselm Grün, Andrea Schwarz: Und alles lassen, weil Er mich nicht lässt. Herder, überarbeitete Neuausgabe 2006, S. 109ff

2.    Joachim Hartmann, Annette Clara Unkelhäußer: Freude an Gott. Echter 2018, S. 43


Dialogfragen
  • Was zähle ich zu meinen Besitztümern (materiell, immateriell)?
    Welcher Besitz löst besonders starke Gefühle in mir aus? Welche Gefühle sind das?
    Welches Bedürfnis(se) steht dahinter?
    Wie ist mein Verhalten/Umgang mit diesem Besitz?
    Wie wirkt sich das auf meine Beziehungen aus?
  • Wo erlebe ich meinen Umgang mit Besitz als belastend, einengend, lebensbehindernd? Wfim, wenn ich dir das schreibe?
  • Wo erlebe ich meinen Umgang mit Besitz als befreiend, bereichernd, lebensfördernd? Wfim, wenn ich dir das schreibe?
  • Wenn ich an die Einengungen/Sorgen durch den Besitz denke:
    Wie stark sind meine Gefühle?
    Wo spüre ich sie körperlich?
    Was würde ich in dieser Situation am liebsten tun?
    Welche Ängste leben in mir?
  • Welche Wege/Möglichkeiten sehe ich, mit meinem/unserem Besitz nach dem evangelischen Rat der Armut umzugehen (loslassen, empfangen, teilen, genießen, vertrauen)? Wfim?
  • Mit welchen der fünf Aspekte tue ich mir besonders schwer? Welche Gefühle lösen sie in mir aus?
  • Wo glaube ich, gelingt es mir schon, nach dem evangelischen Rat der Armut zu leben? Wfim?
  • Was bedeutet es für mich, mich im alltäglichen Tun von der Gewissheit leiten zu lassen, dass ich Gott angehöre und er für mich sorgt? Was empfinde ich dabei?
  • Was ist mir über meinen Umgang mit Besitz klar geworden? Wfim?

Titelbild: Monika Weithmann-Kraus und Franz Kraus