Macht spielt eine Rolle in unserer Beziehung
Als wir uns das erste Mal mit dem Thema befassten, wiesen wir die Vorstellung weit von uns, dass wir in unserer Beziehung Macht ausüben. Dann haben wir genauer hingesehen:
Miriam: Neulich sollte ein Dialogabend bei uns zu Hause stattfinden. Christoph bat mich, diesmal für die Bewirtung unserer Gäste nicht so viele verschiedene Knabbereien zu kaufen. Seine Bitte hatte ich sehr wohl gehört. Doch in der Sorge um meinen Ruf als Hausfrau nutzte ich meine Macht und setzte mich beim Einkauf einfach darüber hinweg. Den reich gedeckten Tisch am Dialogabend nahm Christoph schweigend hin.
Christoph: Wir müssen die alte Heizung modernisieren. Ich entwerfe einen großzügigen Zeitplan, bei dem wir vorher alles genau prüfen und abwägen. Ich plane auch ein, noch viele Leute zu befragen, damit wir die richtige Entscheidung treffen. Das ganze Projekt wird dadurch für Miriam langwierig, kompliziert und sehr technisch. Ich bestimme allein die Ziele und den Zeitpunkt, wann wir beginnen. So kann Miriam mit ihren Ideen nicht zum Zuge kommen.
Macht ist weder gut noch schlecht.
Macht gehört einfach zu unserem Leben. Nur wer Einfluss hat, kann auch Ideen und Vorhaben umsetzen. Ohne Macht ist der Mensch gelähmt: Er kann nichts machen. Die Macht ist also nicht das Problem, sondern, wie wir mit ihr umgehen. Macht ist eine Gabe Gottes, sie ist weder gut noch schlecht.
Die Frage ist vielmehr, ob wir lebenshemmend oder lebensfördernd mit Macht in unserer Beziehung umgehen.
Lebenshemmender Umgang mit Macht – ein Beispiel
Christoph: Miriam schlug mir vor, ein neues Sofa anzuschaffen. Ich fand das alte noch gut. Deshalb wollte ich verhindern, dass wir für neue Möbel Geld ausgeben.
Wie verhielt ich mich, um mich durchzusetzen?
Immer wenn Miriam das Thema anschnitt, reagierte ich ausweichend, ohne klar Position zu beziehen. Statt klar meine Meinung zu äußern, verzögerte ich die Entscheidung mit Argumenten, verschleppte unser Gespräch, indem ich zugesagte Informationen nicht einholte. Insgesamt versuchte ich die Frage auszusitzen.
Lange habe ich einfach nichts gesagt und geschwiegen, wenn Miriam den Vorschlag gebracht hat – wenn es sich nicht mehr vermeiden ließ, zählte ich eine Menge von Argumenten auf, die gegen die Anschaffung sprachen. Vor allem habe ich versucht, der Diskussion und klaren Entscheidung aus dem Weg zu gehen.
In mir lebten große Ängste, die Kontrolle darüber zu verlieren, was wir anschaffen. Ich hatte auch Sorge vor unnötigen finanziellen Ausgaben.
In unserer Beziehung wirkte dieses Thema wie eine Eisfläche, die sich ständig vergrößerte. Auf dieser Eisfläche gedeiht nichts und sie ist nicht fruchtbar. Für unsere Beziehung ist dieser Bereich „verloren“. Wir betreten die Eisfläche auch immer seltener – wir könnten ja einbrechen.
So wachsen die Kälte und Sprachlosigkeit zwischen uns durch mein Verhalten. Ich erlebe mich gefangen und hilflos in Anbetracht der eingefrorenen Beziehung.
Zuhören und Zulassen: lebensfördernd mit Macht umgehen – ein Beispiel
Miriam: Wenn die Woche am Freitagabend endlich geschafft ist, entspanne ich gerne, indem ich einen Film anschaue. Manchmal lege ich dann einfach eine DVD bereit und sage so etwas wie: „Hast Du nicht auch Lust auf diesen Film?!“ Mit meiner vermeintlichen Frage versuche ich dann Tatsachen zu schaffen und so zu tun, als ob es ja klar wäre, dass wir den Abend vor dem Fernseher verbringen. Dabei übergehe ich jedoch völlig Christophs Bedürfnisse und nutze meinen Einfluss, um den Abend so zu gestalten, wie er mir gut tut.
Ich habe jedoch auch die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen. Ich kann mir mein Bedürfnis bewusst machen, mich aber entscheiden, von meinem Bedürfnis zunächst zurückzutreten und Christoph ganz offen fragen: „Wie möchtest Du den Abend verbringen?“ Ich lasse dabei zu, dass der Abend nicht so verläuft, wie ich ihn mir wünschen würde. Aber dafür kann er frei seine Bedürfnisse und Wünsche benennen.
Wenn wir uns dann tatsächlich gemeinsam dazu entscheiden, einen Film zu schauen, ist das ein verbindendes Erlebnis. Ich werde dann nicht einfach nur begleitet, sondern wir erleben den Abend als gemeinsamen Abend.
Wenn Christoph lieber etwas ganz anderes zu seiner Entspannung tun möchte, habe ich die Möglichkeit, ihm einen Abend mit getrenntem Programm vorzuschlagen. Ich lasse das bewusst zu. Schon oft konnten wir uns nach solchen getrennt verbrachten Abenden dann zufrieden und völlig einvernehmlich eine gute Nacht wünschen.
Weitere lebenshemmende und lebensfördernde Formen, mit Macht umzugehen
Als wir mit dem Zeitungsteam unsere Erfahrungen teilten, haben wir gemeinsam noch weitere Beispiele zusammengetragen:
Lebenshemmender Umgang mit Macht:
erpressen, einsame Entscheidungen treffen, schweigen, fliehen, bevormunden, kontrollieren, bagatellisieren, kritisieren, lächerlich machen, verniedlichen, ignorieren, beleidigt sein, schmollen, sich zurückziehen, schreien, abwerten, weinen, drohen,…
Lebensfördernder Umgang mit Macht:
teilen, verbunden sein, zuhören, miteinander reden, nachfragen, abstimmen, offen sein, zulassen, bitten, danken, sich nicht von der Angst leiten lassen, sich gemeinsam freuen, sich auf Augenhöhe begegnen, austauschen, achtsam sein, Respekt zollen, um Verzeihung bitten,…
Gehorsam – mit dem Herzen zuhören
Am Anfang haben wir gesagt, dass Macht ein wichtiges Element in unserem Leben ist. Macht ist für uns notwendig, birgt aber auch Gefahren und ist oft negativ besetzt.
Es gibt aber auch einen positiven Gegenpol: Das ist der Gehorsam.
Der Begriff „Gehorsam“ löst oft spontan innere Widerstände aus. Denn mit Gehorsam verbinden wir z.B. auch „Unterwerfung“. Und wer will das schon?
Mit Gehorsam ist hier etwas anderes gemeint:
hören, horchen, ganz-Ohr-sein, wahrnehmen, aufnehmen, annehmen, zu sich herankommen lassen, zulassen, was ist.
So ist der Schlüssel für den freimachenden Umgang mit Macht das „Zuhören mit dem Herzen“.
Schalom
Miriam Schwörer & Christoph Ernst
Dialogfragen
- „Macht spielt eine Rolle in unserer Beziehung.“ Wfim, wenn ich mir das eingestehe?
- „Macht ist eine Gabe Gottes, sie ist weder gut noch schlecht.“ Wfim, wenn ich mir das bewusst mache?
- Wo übe ich Macht in unserer Beziehung aus? Wfim, wenn ich Dir das schreibe?
- Wenn ich mir die Liste anschaue zum lebenshemmenden Umgang mit Macht, wo finde ich mich in meinem Verhalten wieder? Denkt an eine konkrete Situation. Wfim?
- Wie verhalte ich mich, um Macht zu bekommen, mich durchzusetzen oder meine Macht zu behalten? Wfim?
- Wenn ich Macht ausübe, wie hält mich das besetzt? Wie macht es mich unfrei und zehrt dabei an meinen Energien? Welche Gefühle leben dabei in mir?
- Welche Ängste bewegen mich, Macht auszuüben und wie wirken sie sich auf unsere Beziehung aus? Wfim, wenn ich mir das bewusst mache?
- Wenn ich mir die Liste anschaue zum lebensfördernden Umgang mit Macht, wo finde ich mich in meinem Verhalten wieder? Denkt an eine konkrete Situation. Wfim?
- Ich kann mich für einen verantwortungsvollen, lebensfördernden Umgang mit meiner Macht entscheiden. Wfim, wenn ich daran denke?
- Was gewinne ich für mich und unsere Beziehung, wenn ich mich zum lebensfördernden Umgang mit Macht entscheide? Welche Chancen ergeben sich dadurch für mich/uns? Wfim, wenn ich das schreibe?
- „Gehorsam bedeutet, mit dem Herzen zuzuhören.“ Wfim, wenn ich diesen Satz lese?
- Wfim jetzt, nach diesen Erfahrungen zum Thema „Macht“?
Titelbild: Monika Weithmann-Kraus und Franz Kraus